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„Wegbereiter des Anarchismus“

■ Die Bundeszentrale für politische Bildung verteilte eine Hetzschrift gegen Schriftsteller gratis an „politische Bildner“

Berlin (taz) - In 500 Exemplaren hat die Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn ein Buch in Umlauf gebracht, in dem Schriftsteller wie Heinrich Böll und Hans Magnus Enzensberger als „Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt“ dargestellt werden. Von dem Buch unter dem Titel „zersetzen - zersetzen - zersetzen“, das von dem Esslinger Soziologen Lothar Ulsamer geschrieben und 1987 erstmals veröffentlicht wurde, sind mit Steuergeldern von der Bundeszentrale 500 Exemplare aufgekauft und verteilt worden. Der Chef der Bundeszentrale, Franklin Schultheiß, erklärte, seine Organisation identifiziere sich nicht mit den Büchern, die sie auf Bestellung an „politische Bildner“ gratis verteile. Die Bundeszentrale gehe davon aus, daß die Empfänger dieser Bücher in der Lage seien, sich kritisch mit dem Inhalt auseinanderzusetzen. Im Klappentext wird führenden deutschen Schriftstellern vorgehalten, in ihren literarischen Werken und politischen Äußerungen die Realität verzerrt und den Eindruck erweckt zu haben, als werde die Bundesrepublik von faschistischen Hintergrund–Mächten beherrscht. Ulsamers aus dem Munde von F.J.Strauß oder ZDF– Löwenthal sattsam bekanntes Fazit: „Zeitgenössische Schriftsteller haben den Boden bereitet für Anarchismus und Gewalt.“ Der Kölner Verleger Dr. Reinhard Neven Du Mont (Kiepenheuer und Witsch) hat inzwischen in einem Offenen Brief an den Geschäftsführenden Direktor der Bundeszentrale gegen die Verbreitung des Buches ebenso protestiert wie der PEN–Club. Der Autor hingegen hält seine abgelutschten Uralt–Thesen weiterhin für eine „wissenschaftlich abgesicherte Kritik an problematischen geistigen Entwicklungen“.

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