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Weg von der Erholungsfabrik

■ Ostseebad Heringsdorf fühlt sich zu gehobenem Tourismus berufen / Feriendienst will Familientourismus beibehalten / Sich anbahnende Umweltprobleme könnten das verhindern

Von Karin Mayer

„Es soll wieder werden, wie es früher mal war.“ Wer die älteren Einwohner vom Ostseebad Heringsdorf nach ihren Zukunftswünschen fragt, hört von „guten alten Zeiten“. Eine „Erholungsfabrik“ sei Heringsdorf geworden, schimpfen sie. Über den FDGB-Feriendienst wurden 2.500 Urlauber gleichzeitig in der 5.000-Seelen-Gemeinde untergebracht. „Am Strand war es so voll, daß man nicht mehr treten konnte,“ sagt ein Heizungsmonteur aus Naumburg, der seit Jahren seinen Urlaub im Ostseebad verbringt. Viel Platz bleibt auch dieses Jahr nicht: Strandkörbe stehen dicht gedrängt, und zu den Urlaubern aus der DDR gesellen sich jedes Wochende die Ausflügler aus West-Berlin.

Sauberer und ruhiger soll es werden, wenn es nach den Heringsdorfern geht. Bis jetzt ist die Tendenz eher gegenläufig. Obwohl nur 60 bis 80 Prozent der Zimmer vermietet sind, fällt dank bundesdeutscher Verpackungsindustrie drei Mal soviel Müll an. „Diese ganze Verpackung, die macht uns zu schaffen.“ Karin Lehmann, Rätin für Jugend, Bildung und Kultur, beschäftigt sich fachfremd mit Problemen, die sie um den Schlaf bringen. Die Kommune ist überlastet, drei Stellvertreter teilen sich die Arbeit eines Bürgermeisters.

Am Kiosk an der Strandpromenade wird Coca-Cola und Bier in Dosen verkauft. „Ich find‘ das auch nicht gut mit den Dosen. Wegen Umwelt und so,“ sagt der Kioskbesitzer dazu. Was ihn davon abhält, Flaschen anzubieten? VEB Getränkekombinat Wolgast könne nicht schnell genug liefern. Dabei ist sein Umsatz auf ein Drittel des Vorjahres gesunken. Früher hätten die Leute nach seinen Plastikwürsten Schlange gestanden. Seine Sehnsucht nach Warteschlangen wird von niemandem geteilt.

Wonach sich die Heringsdorfer sehnen, ist der Glanz vergangener Tage: Weiß-getünchte Gründerbauten, schmiedeeiserne Balkongitter und repäsentative Hausaufgänge verdrängen auch heute noch graue Einheitsbauten. In Heringsdorf, seit 1820 eines der ersten Ostseebäder überhaupt, erholte sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg die Aristokratie und das Großbürgertum. Erst der Feriendienst des FDGB, dem drei Viertel aller Häuser in Heringsdorf gehören, brachte den Massentourismus an die Küste. Zu Beginn, 1951, waren es 19.000 Urlauber im Jahr, 1989 fast 60.000 Feriengäste. Mehr geht wirklich nicht: „Wir können doch nicht ganz Deutschland flächendeckend an die Ostseeküste holen,“ Erhard Rusch, Direktor des Feriendienstes in Heringsdorf, hält die Kapazitäten für erschöpft. „Familien mit Kindern - DDR-Bürger, die schon immer ihren Urlaub an der Ostsee verbracht haben“ will er auch in Zukunft in seine Häuser holen. „Mallorca oder Italien? Das nutzt sich ab. Das ist dem DDR-Bürger zu anstrengend.“ Jeden Tag das Mittagessen zur selben Zeit, das sei es, was die Ostdeutschen sich unter Urlaub vorstellen. Zur Bekräftigung beugt Rusch sich über den Tisch und löffelt ins Leere. Die meisten Häuser im ehemahls mondänen Ostseebad Heringsdorf sind einfach eingerichtet. Duschen fehlen, sanitäre Einrichtungen sind mangelhaft.

In den vergangenen 40 Jahren war Heringsdorf allerdings nicht nur „Bad der Werktätigen“, wie Rusch es nennt. Auch Stasi, SED, ZK hatten Ferienhäuser in Heringsdorf. „Die Häuser erkannte man daran, daß deren Türen keine Klinken hatten, sondern nur einen Klingelknopf. Bevor man reinkam, mußte man seine Personalien angeben,“ stellvertretender Bürgermeister Pastor Herbert Gruel kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Inzwischen sind die Kader-Häuser der Öffentlichkeit zugänglich. Im „Pommerschen Hof“, dem Ferienheim des Zentralkomitees, tummeln sich Jugendliche um Billiardtische und Spielautomaten. „In der Mielke-Suite kann jetzt jeder übernachten.“ Allerdings muß der der in so prominenten Betten schlafen will, 200 Mark pro Nacht hinblättern. Wo früher der Türgriff fehlte, fehlt jetzt der Geldbeutel.

Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen sind die Elite -Heime Konkurrenz für die primitiv ausgestatteten FDGB -Heime. West-Touristen geben sich mit wenig Komfort in den Arbeiterheimen nicht zufrieden. Das meint zumindest Direktor Erhard Rusch.

Der Tourismus soll für Arbeitsplätze und Einkommen sorgen. „Unser Plus ist, daß wir im Vergleich zu anderen Ostseebädern nicht so zubetonniert sind,“ sagt Pastor Herbert Gruel dazu. „Heringsdorf hat schon immer vom Tourismus gelebt.“ Fremdenverkehr ist seit über 150 Jahren die wichtigste Einkommensquelle, außer Fischerei und Seefahrt gibt es am Ort nur noch eine Strandkorbfabrik.

Heringsdorf soll so attraktiv wie möglich für die Touristen sein. Karin Lehmann will mit Solequelle und Moorbädern werben. „Heringsdorf war sogar mal ein Brunnenbad,“ hat sie herausgefunden. „Alles ein wunderbarer Fundus“. Mit Kuren hat ich das Ostseebad über die sozialistischen Winter gerettet. Die sollen auch in Zukunft die saisonale Arbeitslosigkeit verhindern.

Konkrete Pläne hat die Kommune nicht, zuviele Probleme mit denen man sich auseinandersetzen muß. Zum Beispiel die völlig veraltete Kläranlage im Nachbarort Bansin, die die Abwassermenge, die im Sommer anfällt, nicht mehr bewältigen kann. „Das Wasser kommt so wieder raus wie es reinkam. Natürlich eine große Umweltbelastung,“ gibt Karin Lehmann zu. Mit geringem Aufwand könnte die Kläranlage verbessert werden, aber wie überall fehlt das Geld, und das Schmutzwasser fließt weiter in den Gothensee und weiter ins Meer. „Nicht gerade ein Aushängeschild für einen Kurort.“ Das gilt auch für die Braunkohleheizungen, die in der Gegend die Luft verpesten. Ob nicht in wenigen Jahren die Preise viel zu hoch für seine bisherigen Gäste seien? „Bei uns nicht,“ lehnt Rusch kategorisch ab. Bürgermeister-Pastor Gruel ist realistischer: „Es wird sich nicht vermeiden lassen. Heringsdorf wird gehobenen Tourismus haben. Das ist klar. Es soll wieder werden, wie es früher mal war.“ Mit wehenden Fahnen zurück in die Vergangenheit? „Ein zweischneidiger Wunsch,“ sagt Pastor Gruel dazu. Bis der Sozialismus im Winter Kurgäste nach Heringsdorf brachte, gab es nur im Sommer Arbeitsplätze und Geld für die Einwohner. „Daran denken die natürlich nicht.“

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