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Wedeln, warten, putzen

Himalaya, Florida und Mexiko liegen in Klein Flottbek. Im Botanischen Garten wachsen Pflanzen aus der ganzen Welt  ■ Von Achim Fischer

Einmal um die ganze Wält, und die Taschen ... Wovon Karel nur gnadenlos trällert, schafft Stefan Rust locker in 40 Minuten, ohne Gäld: von Asien nach Nordamerika über Florida, Mexiko in Richtung Anden und zurück – zum Eingang des Botanischen Gartens in Klein Flottbek. Auf 25 Hektar, der Fläche von 50 Fußballfeldern, präsentiert der Garten Pflanzen und nachgebildete Landschaften aus der ganzen Welt.

Zum Beispiel himalayanischen – der Sport-Redakteur meint „himalayisch, himayalaesk würde ich auch sagen“, aber was verstehen Balltreter schon von Botanik – jedenfalls Bambus aus dem Himalaya. Phyllostachys etwa ist ganz schön lang, ziemlich dünn und steht, wenn man zum Park reinkommt, gleich scharf links. 40 Bambus-Arten und -Sorten gibt es in der Anlage. Sozusagen eine Spezialität des Hauses. „Das ist fast alles, was sich bei unserem Klima hier kultivieren läßt“, erklärt Stefan Rust, Wissenschaftler im Botanischen Garten, der zur Hamburger Universität gehört. Manchmal blühen die Stengel auch, zuletzt vor zwei Jahren. Aber auch ohne Blüten gibt es genug Nachwuchs. Die Halme breiten sich über das Wurzelwerk aus und bilden Ableger, zum Leidwesen der Uni-Gärtner nicht immer da, wo sie es wollen. Also heißt es Bambus jäten. Und verscherbeln. „Wir tauschen die Ableger bei Gartenbaubetrieben gegen die Sorten, die wir noch nicht haben.“

Hinter dem Himalaya liegt die Sichtweite unter 50 Meter. Im Gewächshaus herrscht drückende Schwüle, Brillenträger können wählen: wedeln, warten oder putzen. Die Sicht klart auf. Oben, unten, vorne, hinten, rechts und links bleibt es grün. Palmen, Farne, Schling- und Hängepflanzen. Eine Vitrine mit Wüstenpflanzen („Erbse am Band“), eine mit blühenden Orchideen, eine mit fleischfressenden Pflanzen. Wann es Häppchen für die kleinen Grünen gibt? „Die müssen nicht extra gefüttert werden.“Der Boden bietet – im Gegensatz zu ihren natürlichen Standorten – genügend Nährstoffe.

Quer durch das Gewächshaus ist ein Draht unter die Decke gespannt. Meterlange weiße Büschel hängen herunter – wie Küchenkräuter an der Wäscheleine. Nur größer. Die Küchenkräuter sind Bromelien. In Florida hängen sie an Ästen und baumeln von Strom- und Telegraphenleitungen. Sie ernähren sich ausschließlich aus dem Regenwasser, das sie wie ein Schwamm aufsaugen können.

Hinter dem öffentlich zugänglichen Gewächshaus liegt noch wesentlich mehr unter Glas. Hier findet die eigentliche Aufzucht statt, für die Universität und für Schulen. Und Versuche. „Wir untersuchen zur Zeit, inwieweit man chemische Pflanzenschutzmittel durch biologische ersetzen kann“, erzählt Rust. Marienkäfer gegen Woll- und Schmierläuse, Raubwanzen gegen Rote Spinnen. „Im Freiland“, betont Rust, „haben wir seit Gründung des Gartens keine chemischen Pflanzenschutzmittel eingesetzt.“

Der Park in Flottbek wurde in den 70er Jahren eingerichtet, nachdem es im alten Botanischen Garten am Dammtor zu eng geworden war. Beton war damals schwer in Mode. Und so versuchen Rust und seine Kollegen heute, „die alten Sünden“zu kaschieren. Im großen Teich inmitten des Parks haben sie für einen höheren Wasserstand gesorgt, um einen Teil der Beton-Einfassung zu versenken. Pflanzen am Teichrand sollen noch mehr Beton verstecken.

Links hinter dem Deich (in der nordwestlichen Ecke des Geländes) liegt ein nachgebauter niederdeutscher Bauerngarten, mit Kräutern, Gemüsen, witte Lill und reetgedecktem Häuschen. Ein paar Meter weiter beginnt die Heide, danach Mischwald. Der Lerchensporn – ein kleines, lila blühendes Pflänzchen – markiert die Ameisenstraßen: Seine Samen werden von Ameisen in der Umgebung verteilt. Wo sie häufig gehen, wächst die Pflanze.

Zwischendurch immer mal wieder Bambus, vor Jahren als Sichtschutz angelegt. In der Heide steht ein chilenischer Nadelbaum, weil es einem früheren Planer so gefiel – alte Sünden, die die heutigen Mitarbeiter nach und nach beseitigen.

Hinter Heide und Mischwald beginnt China. Mit Beton statt Holz und Steinen. „Wir hatten in Shanghai schon Sponsoren für eine Holzbrücke“, so Rust. Dann aber schloß das Hamburger Kontaktbüro in der Partnerstadt, der Transport kam nicht zustande. Ein paar Schritte weiter Japan, mit viel Charme und ohne Beton. Geschäftsleute aus dem Fernen Osten sahen den ursprünglichen Garten und sorgten für Abhilfe. Sie ließen einen japanischen Gartenbauer einfliegen, der die Anlage bis ins Detail veränderte: Neben den Steinplatten liegt feiner Kies. Je nach Jahreszeit harken japanische Gärtner unterschiedliche Muster in die Fläche. Die Hamburger Gärtner mittlerweile auch. Sie lernten Muster oder auch Baumschneidetechniken vor Ort, auf Einladung der Sponsoren.

Vorbei an nordamerikanischen Mammutbäumen, durch die Steppe und südamerikanische Sümpfe geht es zurück zum Ausgang. Kurz davor noch ein Schrebergarten. Rust: „Der ist vor allem bei ausländischen Besuchergruppen sehr beliebt.“Und Nutzpflanzen: Verschiedenes Getreide, Blumenkohl, Broccoli und Spinat sind eingesät, aber noch nicht zu sehen. Die Pflanzen dienen als Beweis, daß nicht alles in Dosen und Tiefkühlpackungen wächst. Rust: „Einmal fragte eine amerikanische Schülerin, warum wir uns die Mühe machen, die Erbsen in die Hülsen zu stecken.“

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