piwik no script img

Wasserwerfer-Einsatz „voll ins Auge gegangen“

■ Garlstedt-Demonstranten wurden mit Hochdruck grün und blau gespritzt / Opfer verklagen niedersächsische Landesregierung auf Schmerzensgeld

Die Sitzblockaden, mit denen Ostermarschierer 1984 gegen die Stationierung von US-Soldaten in Garlstedt demonstriert haben, hat jetzt ein juristisches Nachspiel. Mit sechsjähriger Verspätung muß das Landgericht Verden darüber entscheiden, ob der Polizeieinsatz rechtmäßig war, mit dem die Demonstranten vor den Kasernentoren seinerzeit buchstäblich weggeschwemmt wurden. Fünf der rund 100 DemonstrationsteilnehmerInnen haben die Landesregierung Niedersachsen jetzt auf die Zahlung von Schmerzensgeld verklagt. Alle erlitten durch den Einsatz von Hockdruckwasserwerfern schwere Verletzungen.

Nach einer Netzhautablösung droht einem der Teilnehmer bis heute die Erblindung. Einer weiteren Klägerin bescheinigten die Ärzte akute Lebensgefahr nach dem Polizeieinsatz: Der Wasserwerfer hatte sie mit derartiger Wucht getroffen, daß anschließend der ganze Körper mit Blutergüssen übersät war. Folge laut ärztlichem Attest: Ein Blutverlust von zwei Litern. Mit schweren Blutergüssen, Rippenbrüchen und wochenlangen Schmerzen bezahlten auch die übrigen Kläger ihre Teilnahme an der Sitzblockade. Von den Verdener Richtern erwarten sie jetzt zumindest im nachhinein die Bestätigung, daß das brutale Vorgehen der Polizei

in keinem Verhältnis zu der friedlichen Aktion vor den Kasernentoren stand. Ihre Forderung: 1.000 bis 1.500 Mark Schmerzensgeld.

Der niedersächsischen Landesregierung sind bis heute offensichtlich keine Zweifel an der Recht- und Verhältnismäßigkeit der Polizei-Aktion gekommen: Einen vom Gericht angeregten Vergleich lehnte sie ab. Jetzt müssen die Richter sich selbst ihr Urteil über die Ereignisse Ostern 1984 bilden.

Daß sie völlig aus dem Rahmen selbst des Polizeiüblichen fallen, bestätigte ihnen am Montag ein Zeuge, der es wissen muß: Der dpa-Fotograf F., beruflich schon häufig Augenzeuge von Demonstrantionen gab zu Protokoll, Vergleichbares bislang nicht gesehen zu haben. F.'s Aussage deckt sich weitgehend mit den Beobachtungen weiterer Zeugen. Sie alle wollen beobachtet haben, wie die Wasserwerfer-Besatzung aus sieben bis zehn Metern Entfernung ein regelrechtes Hochdruck -Zielschießen auf die vor ihr sitzenden Demonstranten veranstaltete. Selbst wer der Wasserwerfer-Gewalt wich und sich an den Rand des Geschehens zurückzog, sei weiterhin ins Visier genommen worden.

Wenig glaubhaft erschien angesichts der übereinstimmenden Zeugenaussagen die anschlie

ßende Gegen-Darstellung des damals diensthabenden Wasserwerfer-Kommandanten. Er behauptete zunächst, ein zielgerichteter

Einsatz des Werfers sei technisch gar nicht möglich. Später mußte er einräumen: Im Training treffen seine Truppen noch viel genauer.

Geübt wird der Zielschuß auf Medizinbälle, mit denen per Richtstrahl Wasser-Ball gespielt wird. Eine Übung, die zur Einhaltung

der seinerzeit gültigen Dienstanweisung „Wasserwerfer -Einsatz“ auch unerläßlich ist. Die Dienstanweisung lautet: „Der Strahl ist in voller Stärke auf den Störer zu richten.“

Volle Stärke, das hieß für den damals neuen Hochdruck-Typ 6000 eine Kraft von 15 bis 16 bar. Daß bei dem fraglichen Einsatz dienstvorschriftsgemäß alle Wasserwerfer-Gewalt zielgerichtet eingesetzt worden sei, bestritt der damalige Polizeiführer am Montag. Seine Beamten hätten mit höchstens 13 bar aus mindestens 15 Metern Entfernung geschossen, glaubte er „aus Erfahrung“ sagen zu können. Später mußte er einräumen: In Garlstedt fand sein erster Einsatz mit dem neuen Wasserwerfer-Typ überhaupt statt.

Am Rande einer bewußten Falschaussage bewegte er sich auch mit seiner Beteuerung, auf Zuschauer am Rand der Demonstration sei nicht gezielt worden: Fotos beweisen zweifelsfrei das Gegenteil.

Der Prozeß wird fortgesetzt.

K.S.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen