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Wasser–Notstand am Rhein

■ 24.000 Anwohner müssen mit Tankfahrzeugen und Notleitungen versorgt werden / Neuer Giftschub durch ein Leck / Brauereien stellen Produktion ein

Düsseldorf (ap/dpa/taz) - Wegen der Vergiftung des Rheins nach dem Großbrand im Basler Chemie–Konzern Sandoz ist am Wochenende die Trinkwasser– Versorgung in rheinland–pfälzischen Anlieger–Gemeinden des Flusses zusammengebrochen. In den Orten Unkel und Bad Hönningen mußte die Feuerwehr in Tanks Wasser herbeischaffen und Notleitungen legen. 24.000 Menschen sind bisher betroffen. Die Polizei löste am Freitag in Lörrach erneut Alarm aus und warnte vor dem Betreten des Rheinufers, nachdem nochmals zwischen 30 und 60 Tonnen Sandoz–Gift in den Rhein geflossen waren. Unterdessen stellten die ersten Brauereien vorerst die Bierproduktion ein. In Basel demonstrierten am Samstag 10.000 Menschen gegen die chemische Bedrohung. In Bad Hönningen untersagte der Krisenstab bis auf weiteres Autowaschen, Duschen, Baden sowie den Betrieb von Wasch– und Spülmaschinen. Bürgermeister Hermann Elaender beklagte die „äußerst mangelhafte Information“ durch das rheinland–pfälzische Umweltministerium. Elaender sagte, nachdem eine fünf Kilometer lange Notleitung gelegt wurde, die gesetzliche Mindestversorgung an Wasser von 15 Litern pro Person und Tag sei wieder gewährleistet. Die Feuerwehr in Bad Honnef stellt resigniert fest, daß „die Orte Unkel und Rheinbreitbach völlig trocken sind“. Die Wehr sei mit sechs Tankfahrzeugen unterwegs, um die Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. Zu dem Versorgungs–“Engpaß“ kam es, weil die Trinkwasserreservoirs der Orte nicht frühzeitig gefüllt wurden. Der rheinland–pfälzische Umweltminister Klaus Töpfer sagte am Samstag, es sei noch unklar, ob die Schadstoffe aus dem Strom auch durch die Rheinufer in die Brunnen gelangt seien. Das Uferfiltrat erreiche erst in rund 50 Tagen die Brunnen. Nur wenige Gemeinden und Versorgungsunternehmen hätten jedoch Vorräte für eine längere Zeit angelegt. Töpfer: „Es darf nicht sein, daß bei einer solchen Löschung eines Brandes in Basel hinterher ein ganzer Fluß Probleme bekommt.“ Die Haftung für die entstandenen materiellen Schäden müsse der Verursacher übernehmen. Nach Angaben des Stuttgarter Umweltministeriums sind in Basel am Freitag erneut zwischen 30 und 60 Tonnen Gift in den Rhein geflossen, weil ein Abflußrohr leckte. „Wir können noch nicht sagen“, erklärte der Sprecher weiter, „ob sich das Fischsterben jetzt noch einmal ausweiten wird.“ Die Aale im Rhein sind nach Mitteilung des Ministeriums mittlerweile völlig ausgestorben. Von den anderen Fischen gebe es allerdings noch eine „breite Palette“. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Demo–Bericht auf Seite 6 Der baden–württembergische Umweltminister Weiser will am Montag nach Basel reisen, um den „schlechten Informationsfluß“ nach dem Großbrand anzusprechen. Weiser hatte noch am vergangenen Dienstag, drei Tage nach dem Unglück, vor der Landespressekonferenz dreist behauptet, die Belastungen des Rheins seien „absolut minimal“, es gebe keinen Grund zur Besorgnis. In Düsseldorf stellten mehrere Altbierbrauereien als Vorsichtsmaßnahme vorübergehend die Produktion ein. Auch die Brauereien Frankenheim und Gatzweiler entschlossen sich, vorerst kein Bier mehr zu brauen. Die Biervorräte in den Kellern der Brauereien werden noch „für eine knappe Woche reichen“. In Nordrhein–Westfalen hatte die Konzentration des Giftes am Sonntag die höchsten Werte erreicht. Die rheinnahen Brunnen, die vorhandenen Filteranlagen und das Verbundsystem mit weiter vom Strom entfernt liegenden Brunnen würden abgeschaltet. Umweltminister Matthiesen appellierte erneut an die Landwirte, ihr Vieh nicht mit Wasser des Rheins zu tränken, und an die Sportangler, nicht im Rhein zu fischen. Ebenso bleibe die Industrie aufgefordert, die Grundwassergewinnung aus rheinnahen Brunnen einzustellen. Das Ökosystem des Rheins habe durch das Gift schweren Schaden erlitten, sagte Matthiesen. Die Kleinlebewesen im Fluß seien großteils ausgestorben. Der stellvertretende SPD– Fraktionsvorsitzende Volker Hauff warf Umweltminister Wallmann vor, er habe bei der Rheinkatastrophe versagt wie ein halbes Jahr zuvor Innenminister Zimmermann im Fall Tschernobyl. Hauff kritisierte, daß Wallmann keinen Krisenstab einberufen habe, es habe keinerlei Empfehlungen für Wasserwirtschaft, Bauern, Industriebetriebe, Brauereien, Fischer, Wassersportler sowie für die Mütter und Väter, deren Kinder am Ufer spielen. Die Bundesregierung habe die 20 Mio. am Rhein lebenden Menschen im Stich gelassen. Hauff veröffentlichte zugleich einen Bericht des Verbandes der Chemischen Industrie über Sandoz. Darin steht, daß man - so Hauff - in Basel „knapp an der großen Katastrophe vorbeigeschrammt“ ist: Zehn Meter neben der abgebrannten Halle steht ein Gebäude mit Natrium, Säurechloriden und anderen „wasserempfindlichen Stoffen“. Natrium und Wasser reagieren äußerst heftig miteinander. Weiter entfernt befinde sich ein Lager mit dem im Ersten Weltkrieg als tödliches Kampfgas eingesetzten Phosgen. Aus Hessen und Rheinland–Pfalz wurden am Sonntag neue Fischsterben bekannt. Der rheinland– pfälzische Umweltminister Töpfer teilte mit, die Feuerwehr habe einige Zentner tote Aale in Hamm bei Worms aus dem Rhein geborgen. Das Darmstädter Regierungspräsidium sagte, in Gernsheim seien rund zehn bis zwanzig Aale angeschwemmt worden.

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