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Was wusste Schäuble wirklich?

Ein Brief und ein Vermerk aus dem Kanzleramt nähren den Verdacht, dass der frühere CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble weit besser über Rüstungsvorhaben des Waffenhändlers Schreiber informiert war, als bislang angenommen wurde

von SEVERIN WEILAND

Der Sonderermittler Burkhard Hirsch stutzte. Bei der Durchsicht der Akten aus dem Kanzleramt stieß er auf ein Schreiben von Abteilungsleiter Sighart Nehring. „Ich habe Dr. Schäuble sowie die Firma Thyssen hierüber unterrichtet.“ Eine Seite, datiert vom 29. Juni 1995. Adressat: Bundeskanzler Helmut Kohl. Was Hirsch, der die Aktenvernichtung im Kanzleramt zu untersuchen hatte, an dem lapidaren Satz auffiel, ist ein möglicherweise pikantes Detail. Stellt es doch das Verhältnis des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber zum damaligen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble in ein neues Licht.

Schäuble hatte bislang immer behauptet, Schreiber nur flüchtig gekannt zu haben. Das Schreiben legt aber nahe, dass der frühere Kohl-Vertraute über ein von der Firma Thyssen vorangetriebenes Rüstungsvorhaben in Kanada durchaus informiert war. Deren Vertreter in Kanada war kein anderer als Schreiber. Bemerkenswert an dem Schreiben des Abteilungsleiters Nehring ist der zeitliche Zusammenhang. Der Brief aus dem Kanzleramt vom 29. Juni fällt in jene Phase, in der Schreiber nicht nur aktiv im Kanzleramt um Unterstützung warb. Dreieinhalb Wochen zuvor war Schreiber in Bonn auch mit Schäuble zusammengetroffen.

Am 2. Juni 1995 hatte der Waffenhändler den Fraktionschef aufgesucht – in dessen Büro. Einen „Vorgang ohne jede Bedeutung“ nannte Schäuble das Vier-Augen-Gespräch im vergangenen Sommer im Spendenuntersuchungsausschuss des Bundestags. An Details könne er sich nicht erinnern. Das Gespräch sei sehr kurz gewesen. War die Zusammenkunft wirklich so unbedeutend, wie es Schäuble bis heute behauptet? Schreiber hatte im Herbst 1994 Schäuble eine Spende für die CDU über 100.000 Mark zukommen lassen. Auf welchem Weg, ob direkt oder über die damalige CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister, ist bis heute ungeklärt.

Knapp neun Monate später, im Juni 1995, bemühte sich Schreiber, damals Vorsitzender der Thyssen Bear Head Industries in Canada, einen Großauftrag der kanadischen Streitkräfte für gepanzerte Fahrzeuge an Land zu ziehen. In den Akten des Kanzleramtes taucht sein Name auf, seine Visitenkarte versah Kohl mit der mittlerweile berühmten Bemerkung: „Wer ist das“. Neben Schreiber wurde auch der Konzern in Deutschland selbst aktiv. Thyssen-Vorstandsvorsitzender Eckhard Rohkamm bat Kohl in einem Brief vom 14. Juni 1995, sich bei einer bevorstehenden Reise zum Wirtschaftsgipfel in Halifax um ein faires Ausschreibungsverfahren der Kanadier einzusetzen.

Der Manager wies den Kanzler darauf hin, dass es dabei um einen Auftrag „in zweistelligem Milliardenbereich“ gehe. Ein Memorandum über Thyssens Engagement, vom Kanzleramt zusammengestellt, las Kohl noch im Flugzeug. In Halifax selbst, so geht es aus Nehrings Brief hervor, sprach Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) mit seinem kanadischen Kollegen über den Panzerauftrag.

Am Ende war jedoch aller Einsatz der deutschen Seite umsonst: Thyssen ging leer aus. Schäuble wurde über den Verlauf des Thyssen-Engagements in Kanada zumindest zeitweise informiert. Das geht nicht nur aus dem Schreiben des Abteilungsleiters Nehring an Kohl vom 29. Juni 1995 hervor. Ein weiterer Hinweis findet sich in einem handschriftlichen, undatierten Vermerk, der Nehrings Kürzel trägt. Darin heißt es: „Habe heute mit Herrn Schreiber (Kaufering b. München) tel. Sachstand. Weiteres Verfahren. Er informiert uns auch – spricht von s. aus mit Bo Sulimma“. Sulimma war Deutschlands Botschafter in Kanada. Ganz unten auf der Seite findet sich schließlich die Notiz: „dto (dito – die Red.) heute tel. mit FV Dr. Schäuble“.

Der Sonderermittler Burkhard Hirsch fand den Vorgang immerhin so ungewöhnlich, dass er ihn von sich aus am 28. Juni 2000 im Spendenausschuss erwähnte. Für ihn war klar, dass Schäuble von Nehring über den „Stand der Dinge“ informiert worden war, heißt es im Wortlautprotokoll. Über den Fund an sich war der FDP-Politiker Hirsch schlichtweg erstaunt. Er und sein Untersuchungsteam hätten sich „gewundert“, weil bis auf den Vermerk des Abteilungsleiters doch Schäuble im Panzergeschäft Thyssen „sonst keine Rolle“ gespielt habe.

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