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Was wird aus dem „Friedensprozeß“?

■ Zu dem Massaker von Hebron:

Ein Friedensprozeß, den es gar nicht gibt, kann nicht gefährdet sein. [...] Schon damals, an diesem „historischen Tag“ des 13. September 1993, an dem sich Arafat und Peres die Hand gaben und den so hochgejubelten „Friedens-“ oder „Autonomievertrag“ unterzeichneten beziehungsweise unterzeichnen ließen, war klar, daß es sich dabei nicht um einen Friedensschluß zwischen zwei Völkern oder Nationen und auch nicht um den Beschluß einer wahren Autonomie für die Palästinenser handelte. Was sich auf dem englischen Rasen des Washingtoner Weißen Hauses abspielte, war lediglich das Shake-Hands zwischen den Vertretern zweier herrschender Klassen. Dabei war offensichtlich, daß Arafat diesen Schritt nicht im Auftrag seines Volkes, sondern im Alleingang sogar innerhalb der PLO, unternahm. Nichtsdestotrotz stand an diesem Tag das kriegsmüde palästinensische Volk hinter ihm und feierte den vorgegaukelten Frieden.

Es hatte noch nicht begriffen, wie maßlos die Lüge des „Friedens“ und der „Autonomie“ und wie leer all die durch die Medien unterstützten Versprechungen dieser Tage waren. Denn eine wirkliche Autonomie und damit ein wirklicher Frieden waren von Anfang an nicht vorgesehen. Die Verträge selbst waren von Anfang an nicht vorgesehen. Die Verträge selbst waren in diesem Punkt schon viel zu vage und unpräzise, doch ganz deutlich kam dies zum Ausdruck, als am 13. Dezember 1993 die israelische Armee immer noch nicht – wie eigentlich vorgesehen – aus dem Gazastreifen und Jericho abgezogen war und in den darauf folgenden Verhandlungsrunden über Details – wie etwa die Größe des „autonomen Gebietes“ um Jericho und die Grenzkontrollen – wochenlang gestritten wurde. Wie wenig die israelische Regierung bereit ist, die Kontrolle über die Gebiete abzugeben, kommt bei der Lösung des Problems der Grenzkontrollen ganz deutlich zum Ausdruck: Auch in Zukunft entscheidet in letzter Instanz die israelische Armee darüber, wer die Grenze passieren kann und wer nicht.

Das Massaker von Hebron wird wohl der Todesstoß Arafats zumindest als vom Volk getragener Führer der palästinensischen Befreiungsbewegung gewesen sein. Kurzfristig hatte er seine Haut durch die Unterzeichnung des „Friedensabkommens“ retten können – vor allem aber hat er sich damit internationale Anerkennung zugesichert, die ihm auch zuteil wurde, weil sich für Verhandlungen einfach keine Alternative anbot (die Hamas käme dafür noch viel weniger in Frage). Wie lange er sich also noch an der Spitze der PLO behaupten kann, hängt wohl weitgehend damit zusammen, wie lange er als Verhandlungspartner noch gebraucht wird. Nun, nach dem Massaker von Hebron, hat die palästinensische Bevölkerung jedoch gänzlich ihr Vertrauen in Arafat verloren, denn seine waghalsigen Versprechungen, nun bald einen palästinensischen Staat errichten zu können, sind seit der Unterzeichnung des Abkommens in immer weitere Ferne gerückt und im Alltag der Palästinenser hat sich nichts geändert (die taz berichtet darüber regelmäßig).

Das sogenannte „Friedensabkommen“ zwischen der PLO und der israelischen Regierung ist im Grunde genommen nichts anderes als ein Deal, ein kalkuliertes Geschäft. Die USA und das herrschende Kapital wünschen für den Nahen Osten eine gewisse Stabilität, die es ihnen ermöglichen soll, die Region mit ihren reichen Ressourcen und vielen Menschen möglichst gründlich auszubeuten. Dabei sind die Aussichten auf Profite nicht unbeachtlich: Erdöl und Waffenmärkte spielen die bedeutendste Rolle. Denn seit dem Zerfall der UdSSR und insbesondere seit dem zweiten Golfkrieg hat sich die Beziehung der USA zu den arabischen Nachbarn Israels geändert: Mehr als zuvor orientieren sich diese – mangels Alternativen – an den USA beziehungsweise am „Westen“. Damit hat sich der Druck auf Israel vergrößert, nun konsequent eine „Lösung“ der Palästinenserfrage, die schon seit jeher ein Dorn im Auge des gesamten Nahen Ostens und sogar der gesamten islamisch-arabischen Welt ist, zu finden. Bereits die Abwahl des radikalen Ministerpräsidenten Schamir bei den letzten Wahlen im Juni 1992 verlief nicht ohne Einflußnahme aus Washington. Bis dahin war der harte Kurs Israels gegenüber den Palästinensern und den sie umgebenden arabischen Nachbarn von den USA unterstützt worden. Doch nun, nachdem diese arabischen Nachbarn als Verbündete an Bedeutung gewannen, konnte Schamir nur noch schaden.[...]

Nun konnte der im Oktober 1991 angeleierte „Friedensprozeß“ endlich vorankommen, insbesondere als sich Arafat im Sommer 1993 seinem politischen Ende näherte. Doch trotz der sich aus diesen Umständen ergebenden Unterzeichnung des sogenannten „Friedens-“ oder „Autonomie“- Vertrages, den alle Welt als einen Hoffnungsschimmer für einen baldigen Frieden aufnahm, hat sich für die betroffene breite Masse der Menschen nichts geändert: nach wie vor leben die Palästinenser (v.a. in den besetzten Gebieten) am Rande der Gesellschaft, werden wirtschaftlich ausgebeutet und politisch unterdrückt.

Unterdessen erhält die Hamas immer mehr Zulauf und Sympathien in der palästinensischen Bevölkerung: der Druck auf die PLO beziehungsweise auf Arafat, Ergebnisse erzielen zu müssen, wächst und das Vertrauen der palästinensischen Bevölkerung in sie beziehungsweise in ihn schwindet. Auch die israelische Regierung verliert die Kontrolle über ihre Bevölkerung. Das Massaker von Hebron ist nicht in ihrem Interesse, es hat – so hart das auch klingen mag – den Palästinensern – und nicht ihr – politische Munition gegeben. Gewissermaßen ein Pluspunkt für die Forderungen der radikaleren palästinensischen Gruppen. Und innerhalb der israelischen Bevölkerung findet eine starke Polarisierung statt, die durch das Massaker noch einmal verstärkt wurde: Auf der einen Seite die Friedensbewegung, die aber leider immer noch zu schwach ist. Viel stärker ist der Schwenk nach rechts. Radikale religiöse Parteien und Bewegungen werden einflußreicher. Insbesondere die Siedler werden immer militanter – und sie sind bis zu den Zähnen bewaffnet, was sich wohl auch nach dem Beschluß, sie zu entwaffnen, nicht ändern wird.

Daß das Blutbad sich in einer Moschee abgespielt hat, ist ebenfalls von nicht unbeachtlicher Bedeutung: Die gesamte islamische Welt ist empört und die Hamas kann mit noch mehr Unterstützung rechnen.

Nach dem Massaker von Hebron erhalten also nun die Gegner des „Friedensabkommens“ mehr Gehör und Glaubwürdigkeit. Ob dies eine Chance für einen wahren Frieden bedeutet, hängt davon ab, welche Alternativen zu der Politik Arafats diese Gegner anbieten können. Zur Zeit sieht es in dieser Hinsicht schlecht aus, denn es bietet sich nur die islamisch-fundamentalistische Hamas an. Die Weichen für einen Bürgerkrieg sind gestellt. Rebecca Pini, Frankfurt

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