: Was war mit der Mickymaus?
■ Freispruch im 1.-Mai-89-Prozeß / Polizeivorwurf: Angeklagter soll besoffen Wannen beworfen haben
Moabit. Wenn Polizist Joachim F. (21) sich eher an die Mickymaus erinnert hätte, säße Christoph R. (34) jetzt vielleicht im Knast. Doch gestern vormittag im Strafjustizgebäude konnte sich der Polizeibeamte plötzlich nur noch an eine „kurze Hose und ein helles Hemd“ erinnern. Doch diese Angaben sollten nicht für die Verurteilung von Christoph R ausreichen.
Gegen 22 Uhr wurde er vom Polizisten Joachim F. und einem Kollegen am Görlitzer Bahnhof wegen des Verdachtes auf Landfriedensbruch festgenommen. Auch wenn damals überall in Kreuzberg der Straßenkampf tobte - am Görlitzer Bahnhof war es um 10 Uhr abends „friedlich“. Und Christoph R. war alleine, berichtete der Polizist gestern.
Die beiden Polizeibeamten sackten Christoph R. aber trotzdem ein, weil er zweieinhalb Stunden zuvor in der Skalitzer Straße zwischen 200 „dunkel gekleideten Vermummten“ auf Polizeiwannen „einen Gegenstand“ geworfen haben soll. Joachim F. glaubte damals, die Klamotten wiedererkannt zu haben: kurze Hose, ein Hemd mit Mickymaus und schwarze Turnschuhe der Marke Adidas. Der Angeklagte stritt den Vorwurf gestern nicht ab - er konnte sich nämlich an kaum etwas erinnern.
Damals hatte er Stunden vor der Festnahme mit Freunden „kräftig Bier“ getrunken. Ein Polizeiarzt stellte nach der Festnahme im Blut des Angeklagten dann auch drei Promille Alkohol fest. Nachmittags, beim Bierbesorgen, habe er auf dem Lausitzer Platz noch „Tränengas gerochen“. Später mit Gegenständen auf die Polizei geworfen zu haben, konnte er sich aber nicht vorstellen: „Weil ich ziemlich besoffen war. Ich wollte feiern, keine Randale.“
Doch auf Fragen der Staatsanwältin stellte sich nun später heraus, daß der Polizeibeamte Joachim F. die Mickymaus auf dem Hemd von Chris und die schwarzen Turnschuhe erst bei der Festnahme bemerkte. Doch das war für die Staatsanwältin zu spät: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte geworfen hat - aber es kann auch nicht das Gegenteil ausgeschlossen werden“, weil möglicherweise auch andere Personen am 1. Mai in kurzen Hosen und hellen Hemden herumliefen. Richter Ehestädt schließlich: „In dubio pro reo.“
diak
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen