: Was verstehen wir unter Bildung? –betr.: „Lernen fürs Leben“, taz vom 29.12.98
Die Artikel über Ganztagsschulen brachten endlich einmal Aspekte in die Bildungsdiskussion, die in der kurzatmigen Diskussion über TIMMS, BiJu, LAU und wie die Untersuchungen der letzten Zeit über schulische „Leistungen“ alle heißen mögen, viel zu kurz gekommen sind. Denn allzu oft werden unter Leistung lediglich abfragbare Kenntnisse verstanden. Dadurch wird von dem, was geleistet werden soll beziehungsweise kann, lediglich ein kleiner Ausschnitt betrachtet. Zweifelsohne sind solche Kenntnisse von großer Wichtigkeit. Allerdings gibt es wesentliche andere Bereiche, die ebenfalls von großer Bedeutung für das Leistungsvermögen der Kinder und Jugendlichen sind. Hier ist eben auch das soziale Lernen zu nennen. Leider wird in der öffentlichen Diskussion häufig so getan, als stünden der Erwerb von Sachkenntnissen und das soziale Lernen im Gegensatz zueinander. Dieses Mißverständnis wird in den vergangenen Monaten durch die vereinfachende Darstellung der oben angesprochenen Vergleichsuntersuchungen noch gefördert. [...]
So müßten wir erst einmal klären, was wir – die Gesellschaft – unter Bildung verstehen und was davon den jungen Menschen in der Schule vermittelt werden soll. [...] Auch müßte versucht werden, Einverständnis darüber zu erzielen, welche Anteile an dem, was gemeinhin mit Erziehung bezeichnet wird, von Schule übernommen werden soll. Häufig wird immer noch so getan, als wäre die vierköpfige Kleinfamilie auch heute noch Standard, ein Elternteil (in der Regel der Vater) geht – regelmäßig – arbeiten, der andere Elternteil (meist die Mutter) kümmert sich um Haushalt und Kinder. Daß dem schon längst nicht mehr so ist, und dies gilt besonders für Großstädte, wird oft übersehen.
[...] Ein Ansatz, der in die richtige Richtung geht, ist die vermehrte Einrichtung von Ganztagsschulen, in denen bei angemessener Ausstattung räumlicher und personeller Art auch für ein vernünftiges Frühstücks- und Mittagstisch-Angebot sowie für Hausaufgabenbetreuung gesorgt ist. All dies gibt es nicht umsonst. Wir sollten aber nicht bereit sein, uns an der Diskussion oder gar dem Wettbewerb zu beteiligen, welche Schule die billigste ist. Erst wenn geklärt ist, welchen Ansprüchen Schule gerecht werden soll, können wir zu einer Entscheidung kommen, ob wir uns dies dann leisten können oder wollen. [...] Andreas Baumgarten, Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule e.V., Hamburg
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