piwik no script img

„Was sind wir ohne Traum?“

Der 30jährige schwarze südafrikanische Publizist Mark Mathabane kam 1978 — straight out of the township — als Stipendiat in die USA und lebt heute mit seiner Familie in den Südstaaten  ■ INTERVIEW: ANDREA SEIBEL

Andrea Seibel: In den USA hat jede ethnische Gruppe ihren Platz in der Gesellschaft gefunden, und das scheint mehr oder weniger gut zu funktionieren. Aber nicht so beim schwarz-weißen Verhältnis. Da gibt es ein tiefes Nicht-Verstehen-Wollen.

Mark Mathabane: Das Problem der Rassentrennung geht weit zurück in die amerikanische Geschichte. Ich glaube, die beiden Gruppen haben noch immer nicht die Schmerzen und den Haß der Sklaverei verarbeitet. Unglücklicherweise hat sich der visionäre Geist und der Idealismus der 60er, der zumindest Hoffung auf Versuche, mit der Vergangenheit umzugehen, weckte, in Luft aufgelöst, als Reagan an die Macht kam.

Sie kommen aus Südafrika. Was hat der schwarze Südafrikaner für ein Bild von den USA?

Viele denken, daß Amerika schon lange seine ethnischen Probleme gelöst hat, daß schwarze Menschen unvorstellbare Freiheit genießen, unglaublich reich sind, hochgradig intelligent und erfolgreich. Dieses Image wird durch die Macht des amerikanischen Fernsehens verstärkt, das bis in die Tiefen Südafrikas dringt. Was man über das schwarze Leben hört, klingt nach Erfolg — nach Michael Jacksons, Michael Jordans, Bill Cosbys.

Wie würden Sie sich bezeichnen, als Sie hierherkamen. Waren Sie naiv?

Nein. Ich glaubte an die Vision, an die Utopie. Einfach, weil ich die Unabhängigkeitserklärung auswendig gelernt hatte. Ich kam in ein Land, das Menschenrechte in solch einer noblen Art garantierte, ein Wunder. Ich kam an — und war geschockt.

Was hat Sie schockiert?

Das erste, was mich traf, als ich in diese kleine Südstaaten-Stadt kam, wo meine Universität lag, war die Entdeckung zweier Welten: der weißen und der schwarzen. Ich dachte, dies wäre eine integrierte Gesellschaft. Die schwarze Welt erschreckte mich tief, weil sie mich so an Südafrika, an Alexandra, an Soweto erinnerte.

Aber Sie wurden doch der weißen Welt zugeteilt.

Ja, die Universität lag in der weißen Gesellschaft. Dort war ich sehr wohl von der Offenheit und Freundlichkeit der Leute überrascht. Sie waren so freundlich zu mir.

Zu Ihnen als schwarzem Südafrikaner...

Ja. Sie versuchten mir zu erklären, wie schrecklich sie Apartheid fanden, daß sie nicht glaubten, daß so etwas im 20. Jahrhundert geschehen könne. Ich nahm ihnen ihre Ehrlichkeit ab, obwohl sie doch selbst mitten in einer Form von Apartheid lebten. Nach außen waren beide Gesellschaften sicherlich Ozeane voneinander entfernt, aber im Innern, in der Einstellung der Menschen zueinander, waren sie sich sehr ähnlich.

Das ist doch eine bittere Erfahrung.

Ich war tief enttäuscht, weil ich einen Platz, den ich als Hafen begreifen wollte, verloren hatte. Zugleich war ich aber auch entschlossen, mich in dieser Gesellschaft zu behaupten. Ich fand viele Chancen, einen Grad an Freiheit, den ich in Südafrika nie hatte. Was mich dort mitnahm, war nicht so sehr das physische Leid, Hunger, Verfolgung. Das Schwierigste war, was mit meinem Geist geschah. Daß ich Apartheid entsprechend denken, fühlen und handeln sollte. Das war die größte Form der Unterdrückung. Nach Amerika zu kommen, hieß zu erfahren, daß es die Freiheit gab, endlich das, was ich wirklich empfand, zu sagen. Das war eine große Befreiung.

Fehlt diese Befreiung nicht unter Schwarzen in den USA? Die mentale Befreiung von den Fesseln der Sklaverei?

Das ist sicherlich einer der Gründe, warum die Schwarzen Amerikas es schwerer haben als schwarze Südafrikaner. Obwohl ich mit der höllischen Unterdrückung der Apartheid konfrontiert war, rettete doch etwas mein Herz und meine Seele: die Tatsache nämlich, daß ich Teil einer Mehrheit war. Das war unsere Kultur, unser Land. Dies gab mir die Gewißheit der Gerechtheit meines Anliegens. Daher kommt auch unser Zusammengehörigkeitsgefühl. Familiensinn in Südafrika ist beachtlich, bedenkt man, daß das Regime jahrelang versuchte, Familien zu zerstören. Einander zu helfen, füreinander zu empfinden — das schützte mich vor der Desintegration der Persönlichkeit. Letzteres geschieht in den USA, besonders mit der schwarzen Jugend. Das ist eine große Tragödie.

Warum ist die weiße Mehrheit so desinteressiert an den Schwarzen? Warum ist der Schwarze weiterhin unsichtbar?

Ich bin immer noch schockiert, wie ignorant viele Weiße in den USA sind, wie wenig sie über das schwarze Leben wissen. In New York gibt es viele Weiße, die noch nie in ihrem Leben in Harlem waren. Das ist das gleiche wie mit den Weißen in Johannesburg, die noch nie in Soweto waren. Es gibt immer noch so ein Gefühl in den USA, das besagt, Schwarze seien keine richtigen Menschen. Es ist kein bewußtes Gefühl, aber dennoch existent. Wenn man aber nicht sehen will, daß das, was in den schwarzen Ghettos geschieht, dich angeht, daß es Teil unserer Humanität ist, wenn man behauptet, das Problem existiere nicht, heißt das, daß man die Menschen nicht auf dem gleichen Niveau behandelt.

Deswegen reden wohl auch viele Schwarze von Konspiration. Bei Cracke etwa wird behauptet, es wäre bewußt in die Ghettos gekommen, um die Schwarzen auszurotten.

Unterdrücker lieben Menschen, die die Verantwortung für ihr eigenes Leben aufgegeben haben. Wenn man sich dem entzieht, ist das ein Sieg, den man ihnen nicht gönnt. Leider sehe ich, daß in den USA die Unterdrückung schon die Seelen erobert hat, der schwarze Fatalismus ist eine schreckliche Falle. Ich kenne Armut, ich lebte in ihr. Dennoch erlebte ich unter vielen Armen weltweit eine gewisse Würde, sie sind Menschen. Aber mit den Armen der USA ist etwas Schreckliches geschehen: so als ob sie seelenlos, nur Hüllen seien.

Ihr Schlüssel für Erfolg war Bildung, Ihre Lust zu lernen.

Viele machen mir den Vorwurf, ich würde das zu sehr betonen. Dann sage ich ihnen: Schaut doch das Leben an, das ich führte! In dem Moment, als ich im Kopf andere Welten entdeckte, jenseits von Schmerz, Gewalt, Tod, lebte ich auf. Manchmal saß ich da und träumte, nachdem ich die Schatzinsel gelesen hatte. Und um mich war nur Hoffnungslosigkeit, aber in meinem Kopf dieses Leben. Da erkannte ich die Kraft der Bücher, daß man eine Realität imaginieren konnte. Die Bildung, die mich rettete, war die der Humanität.

Es gibt innerhalb der schwarzen Bewegung einen radikalen Flügel, gerade in der Jugend, der gegen Integration ist. Sie propagieren einen schwarzen Nationalismus, sind an Malcolm X. orientiert.

Schwarzer Nationalismus, besonders in den USA, kann keine Lösung sein. Die USA sind — und das werden sie immer sein — ein von Weißen kontrolliertes Land. Dennoch glaube ich, daß man auch innerhalb dieses Kontextes schwarz und stolz sein kann. Man muß die herrschende Gesellschaft erziehen, muß ihr vermitteln, was deine Kultur und Identität und deine Werte sind. Es wird niemals, und wenn, dann wäre dies ironisch, Homelands für Schwarze in den USA geben. Aber ich weiß auch, daß heute, wo es junge Schwarze so furchtbar schwer haben, es fast gedankenlos klingt, solche Worte zu predigen.

Ihr neues Buch handelt von gemischten Beziehungen, die ja auch immer ein Gradmesser für den Toleranz- und Emanzipationsgrad der jeweiligen Gesellschaft sind.

Es ist ein sehr persönliches Buch über mich und meine Frau. In der gemischten Beziehung spielt die Gesellschaft natürlich eine große Rolle: all die Tabus, die Vorurteile, wie unsere Eltern die Nachricht aufnahmen, ja wie wir selbst dies taten aufgrund unserer Herkunft.

Wie hat denn Ihre Familie reagiert?

Meine Familie, und das überrascht mich immer noch, denke ich daran, wie verkrampft weiße und schwarze Amerikaner sind, fragte mich schlicht und einfach: „Ist sie ein guter Mensch?“ Nie war die Hautfarbe eine Frage. Ab dem Moment aber, als in Amerika bekannt wurde, daß ich eine Weiße geheiratet hatte, fühlten sich Schwarze betrogen. Sie fragten mich, wie ich das nur meiner Mutter antun könne. Ich sagte ihnen, daß meine Mutter damit nichts zu tun habe. Dann fragten sie: „Wie kannst du uns dies antun?“ Ich sagte, daß ich gegen die tribalistischen Zwangsehen in Südafrika bin und in den USA, wenn sie aus rassischen Gründen oder wegen der „politischen Korrektheit“ eingefädelt werden.

Wie sieht es mit gemischten Paaren in den USA aus?

Ihre Zahlen wachsen, und viele leben interessanterweise in den Südstaaten. Ich glaube, daß von dem bißchen Fortschritt, der geschah, das meiste im Süden stattfand, eben weil hier ein bewußter Versöhnungsakt stattgefunden hat. Deshalb kommen viele gemischte Paare hierher, trotz der geschichtlichen Belastung des Südens, trotz des Klu Klux Klan, der immer noch existiert.

Ziehen auch Sie ihn dem Norden vor?

Ja. Ich bin hier menschlicher.

Was meinen Sie damit?

Im Nordosten, besonders in New York, fühlte ich mich wie verwandelt, es war fast wie bei der Jekyll- und Hyde-Geschichte. Wie sonst konnte man ein Appartment für Tausende Dollar im Hochhaus auf der Upper East Side ertragen, wo dann unten jemand in den Mülleimern nach Essen wühlte? Ich konnte das nicht.

Kommen viele Schwarze zurück in den Süden, weil sie hier ihre Wurzeln doch eher finden?

Ja, der Süden ist freundlicher zu ihnen. Hier wurden sie geboren, aufgezogen, sie wissen um die Probleme. Sie wissen aber auch, hier ist ihre Seele. Viele andere Plätze sonst, wo sie leben, sind seelenlos, die Ghettos, ausgetrocknete, kalte Orte, wo man Kinder nicht aufwachsen lassen kann. Sie kommen hierher zurück, weil hier mehr Hoffnung ist. Hoffnung ist synonym mit Leben.

Ist die Idee der Integration denn in den USA gescheitert?

Die Menschen glauben nicht mehr daran wie in der Vergangenheit. Die Ironie ist, daß in Südafrika ein neues Zeitalter heranbricht, voller Hoffnung und Glauben an die Gemeinsamkeit. Dort gibt es noch ein großes Reservoir an gutem Willen unter den Schwarzen — die Erkenntnis, daß, egal ob schwarz, weiß, indisch, eben alle afrikanisch sind.

Sie glauben also, der amerikanische Traum sei tot?

Was sind wir schon ohne Traum?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen