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■ Was, liebe Bonner Beamte, spricht bei Ihnen gegen Berlin?Lichterketten für Vertriebene

Ein paar Monate hatten sich die sogenannten

„Anti-Berliner“ (Diepgen) in Bonn zurückgezogen, ihre Wunden geleckt und in verschiedenen, regelmäßig geheim tagenden Arbeitsgruppen überlegt, was man denn noch gegen den drohenden Umzug in den finsteren Osten so tun könnte. Manchmal bestimmte man unerschrockene Kundschafter, die nach Berlin fahren sollten, die Lage zu erkunden. Mit bleichem Gesicht kamen die dann zurück und erzählten an langen Abenden auf Bonner Terrassen beim Barbecuing von ihren Schreckensfahrten, die sie durch die „asiatische Steppe“ (Adenauer) bis nach Berlin führten. Von wild aussehenden Berliner Jugendlichen war dann die Rede, die sie mit den Worten „Kannst du mir mal etwas Geld schenken“ bedroht hätten; von verächtlichen Blicken finsterer Arbeitsloser; von Pollenflug, Fahrradfahrern und einem dicken Dichter, der in den Bäckereien der Stadt ihnen die Bäckerblume aufdrängen wollte. Nur Töpfer hatte irgend jemand umgekrempelt. Töpfer fand Berlin „gut“.

Bei seinen Spaziergängen durch den Prenzlauer Berg sei es ihm schon des öfteren passiert, „daß schräg rüber, von der anderen Straßenseite her, aus einer Szenekneipe gegrüßt wird: He, Töpfer!“ erzählt er immer, immer wieder gern. Und wie schön das doch sei. Das macht er schon seit Wochen so, und in Bonn beginnt man bereits, über den Wohnungsbauminister bonnerisch zu grinsen, wenn er vorbeikommt, um mit seinen Abenteuereien zu prahlen. Manche begrüßen ihn inzwischen mit einem süffisanten „He, Töpfer!“ und klopfen dem volksnahen „Hauptstadtmacher“ mit der „Vorliebe für Szenekneipen“ (Die Zeit) auf die Schulter und gehen dann wieder an ihre Schreib-

tische, um den vom „Wohnungsbau- und Umzugsministerium“ erarbeiteten zehnseitigen „Rahmenfragebogen zur Erhebung der Härtefallgründe und Sozialkriterien“ zu „bearbeiten“. Diesen Fragebogen hat Töpfer jetzt den Bonner Beamten vorgelegt. „Alle Bundesbediensteten sollen Einwände gegen ihre Teilnahme am Regierungsumzug vorbringen“, heißt es darin, und freudig folgten sie dem Befehl, denn „ein Nichtausfüllen oder eine Verweigerung kann dazu führen, daß persönliche Gegebenheiten der Beschäftigten nicht berücksichtigt werden“.

Der „Härtefallgründe, die einen Umzug unzumutbar machen können“, gibt's viele, und tagtäglich finden schelmische Beamte neue. Manche entdecken plötzlich, daß sie eigentlich schwerbehindert sind und kommen seit ein paar Tagen im Rollstuhl zur Arbeit oder zwingen Ehefrau und Kinder, in einen Rollstuhl zu steigen. Verstauchte Füße, Masern, Kopfschmerzen, gar Impotenz mehren sich. Verschwägerte Omas angeheirateter Schwestern von Freunden von Freunden tauchen auf, die vom heldenhaften Beamten gepflegt sein wollen und müssen. Dem Töchterchen, einer Volkswirtschaftsstudentin, ist es nicht zuzumuten, daß der Papa nach Berlin gezwungen wird, denn Papa hilft bei den Hausarbeiten und beim Rückenwaschen. „Arbeiten am Haus, Fahrten zum Arzt“ müssen für die Oma der Freundin einer Jugendfreundin unternommen werden, sonst ginge sie zugrunde. Auch von Selbstverstümmelungen hört man, die verzweifelte Beamte begehen, um sich ihrer Dienstpflicht zu entziehen. „Eine Welle neuer Mitmenschlichkeit“ überschwemmt die mediokre Bonzenstadt, weiß der Bonner Amtsarzt Dr. Heinrich S. Auch wir hier in Berlin können uns dem nicht entziehen und bedauern mit Bundessenator Peter Radunski (CDU), daß „die Angebote und Perspektiven für die Bundesbediensteten noch fehlen“. Oft denken wir an unsere von Vertreibung bedrohten Brüder und Schwestern in Bonn.

Solidarische Lichterketten sind in Planung. Detlef Kuhlbrodt

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