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„Was ist das denn, ein 68er?“

Wie will Ted Gaier (37) leben? Der Künstler, bekannt als Mitgründer der Diskurs-Combo „Die goldenen Zitronen“, schöpft seinen Spaß am Dasein aus einem gemeinsamen Kater, Verliebtsein, guten Gesprächen und Erkenntnissen. Und daraus, undenkbare Dinge kollektiv erreichen zu können

von ARNO FRANK

taz: Welche Musik wird in einer idealen Welt gehört?

Ted Gaier: Ist es nicht so, dass Adorno gesagt hat, wenn der Kommunismus wirklich funktioniere, bräuchte man gar keine Kunst mehr?

Was im Umkehrschluss bedeutet, dass Musik immer politisch sein muss – oder gar nicht.

Oder einlullend. Rockmusik hat ja die Funktion, Individualität an die Masse zu verkaufen, ein rebellisches Gefühl ohne echte Konsequenzen zu evozieren. Es ist nur noch eine leere Hülle für die Möglichkeiten, sie auszufüllen. So unterscheidet sich rechte Rockmusik formal auch nicht von linker.

Was ist dann politisch an den Goldenen Zitronen?

Wir haben die Konsequenz gezogen, uns in ästhetischer Hinsicht explizit abzugrenzen von einer Songstruktur, die eben leeres Gefäß sein kann. Unsere Idee war, auf Refrains zu verzichten, unsere Musik so dissonant zu machen und aus den Rockschemata auszubrechen, dass man nicht vereinnahmt werden kann – von egal wem.

Ist das denn eine reale Gefahr?

„Allein machen sie dich ein“ von Ton Steine Scherben wird von einer richtigen Naziband gecovert. Dagegen ist man nicht gefeit. Ein Zitronen-Stück wie „Das bisschen Totschlag“ kann von Rechten nicht gespielt werden. Nicht nur, weil der Text so besonders links ist, sondern weil die Musik so sperrig ist und nicht das transportiert, was man sich an Emotionen und Pathos erwartet.

Und die Erwartungen der Fans?

Ende der 80er hatten wir auch Schnauzbärte im Publikum, die mitgrölten und Bier soffen, das ganze Fußballzeug eben. Das waren keine Rechten, sondern Dumpfköpfe oder Machos. Da haben wir nach einem Weg gesucht, die wegzukriegen.

Und die richtige Musik im falschen Leben zu spielen?

Unsere Musik ist natürlich ohne die falschen Verhältnisse nicht denkbar. Unsere Energie schöpfen wir aus dem Ehrgeiz, einen Standpunkt gegen die Verhältnisse und das „Sich nichts anderes vorstellen können“ zu beziehen – ohne ein besonderes Bild von diesem anderen zu geben.

In einem eurer Songs geht es darum, dass gute Feindbilder immer auch eine gute Ware sind. Ist das nicht ein Teufelskreis?

Im Zusammenhang mit Pop kann man sich vollkommen von der Idee der Subversion verabschieden. Feindbilder sind immer strategisch oder ästhetisch – so wie ich Eric Clapton noch immer hasse, weil er ein Spießer ist. Ich würde gerne ohne Feindbilder auskommen, aber wenn man sich so’n Quatsch wie den IWF oder die Besitzverhältnisse auf der Welt anschaut, kommt man ohne den Hebel eines Feindbildes nicht aus. Es fällt mir auch immer schwerer, in einem Bullen ein Schwein zu sehen. Die sind heute ja auch heterogener, hören ja auch Blumfeld. Oder wählen die Republikaner, je nachdem. Die Fronten verwischen.

Und deswegen ist es heute schwieriger, politisch Stellung zu beziehen?

Die Heterogenität der anderen Seite kann man ja auch benutzen, und zwar mit der eigenen Vielfältigkeit von Argumenten, Happenings oder ästhetischen Formen.

War dann Genua nicht ein Rückfall in die Protestkultur der 80er?

Auch solche Situationen werden immer undurchschaubarer. Natürlich gibt es Faschisten unter den italienischen Bullen. Aber die Medien reproduzieren auch nur das Spektakuläre. Bei Protesten am Frankfurter Flughafen wird immer ganz unverblümt von der FAZ oder dem Hessischen Rundfunk gesagt: Da müssen Bilder her, wenn das auf die Seite 1 oder gesendet werden soll.

In einer idealen Welt müsste man auch keine Zeitung mehr lesen?

Die ideale Welt kann ich mir halt nicht vorstellen, sowieso nicht. Die taz kann ich mir noch weniger in einer idealen Welt vorstellen. Allerdings sind es die utopischen Momente, die einen am Leben halten. Daraus schöpfe ich meinen Spaß am Dasein: Ein gemeinsamer Kater, Verliebtsein, gute Gespräche und Erkenntnisse. Und: Undenkbare Dinge kollektiv erreichen zu können.

Lebst du persönlich so, wie du leben willst?

Ja, im Bereich des Möglichen. Schade ist schon, wenn man Mittdreißiger ist, dass eine Verbürgerlichung um einen herum stattfindet, von der man natürlich selbst ein Teil ist. Schade ist, dass Kollektiv-Ideen mit dem Älterwerden scheinbar aussterben. Auf dem taz-Kongress fand ich das eigentlich Schockierende, was für eine amorphe Masse von 68ern da im Publikum saß, die diesen Medienbegriff von „den 68ern“ total verinnerlicht hat. Was ist das denn, ein 68er? Ich würde mich als 68er diesem Begriff grundsätzlich verweigern. Die wollten wissen: „Was habt ihr denn von den 68ern mit rübergeholt, habt ihr die Staffel übernommen?“ Da wäre die logische Frage: Welche Staffel eigentlich? Die mit denKommunen? Oder die mit der K-Gruppe? Oder die mit Universitätsanstellung und Volvofahren? Wie ungefiltert die sich diesen Begriff überstülpen und als Identität begreifen, das hat mich echt schockiert: Wie bürgerlich das war, wie da betont höflich gesiezt wurde, um nicht hippiesk zu erscheinen.

Was hat dich daran gestört?

Unsere Kritik an den 68ern war ihr Scheitern, ihre schleichende Entpolitisierung und Gemütlichkeit – nicht ihr Hippietum. Das war zumindest für mich so. Die haben es ja ernst gemeint, wollten Klassengegensätze über Bord werfen. Die Bemühtheit, mit der damals versucht wurde, die Bürgerlichkeit abzustreifen, die ist nun durch die Hintertür wieder reingekrochen – und sie haben keinen Begriff mehr dafür. Wer auch immer „sie“ sind.

Eure Plattenfirma heißt Buback, ein Jan Delay verkauft dort mit politisch gepoltem Reggae viele Platten, auch im Mainstream.

Dass der Name Buback plötzlich so programmatisch wird, das ist Zufall. Jan Delay repolitisiert sich, weil es aus der Starhaltung wieder ein Bedürfnis gibt, content herzuholen und ihn über den style zu stellen. Dass nun die RAF als Symbol hergenommen wird, ist ja das Radikalste, was man sich vorstellen kann. Das war ja schon bei den Sex Pistols so: „If it’s the IRA or the RAF“ ...

Inzwischen wird die Genforschung testhalber als Option gesehen, den „besseren Menschen“ und damit die „bessere Gesellschaft“ zu schaffen. Es heißt, der Humanismus habe ausgedient und müsse ersetzt werden.

Auf dieser Ebene denke ich nicht über Politik nach, ich bin auch nicht kantfest. Aber wir können uns doch gar nicht denken ohne humanistische Ethik. Die Behauptung, es gäbe eine plurale Ethik, die mit Technologien zusammenhängt, ist falsch. Der Fehler liegt in der Überbetonung des Kapitalismus, in einem typischen Eurozentrismus. Als postmodern gilt auch, das Ende von etwas einzuleiten und zu behaupten, es wäre der Anfang von etwas Neuem. Die postmoderne Realität bedeutet ja gerade, dass immer alles gleichzeitig ist. Spiegel und Focus titeln ja immer „Das Ende von diesem“ oder „Das Ende von jenem“ – Medienhypes, die in immer kürzeren Intervallen auftauchen, immer weniger Relevanz haben und selten kennzeichnen, was an Bewusstsein da ist.

Nach Vilém Flusser könnten neue Technologien dem Menschen ermöglichen, vom „Subjekt zum Projekt“ zu werden.

Von welchem Menschen ist denn da die Rede? Doch wohl vom weißen Mittelklassemenschen der Ersten Welt! Da bin ich eher Banalmarxist: Bevor man darüber redet, ob das jetzt okay ist, sollte man sich fragen: Wem stehen diese Technologien zur Verfügung?

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