■ Was in Wahrheit hinter der Urlaubslüge steckt: „Uns geht es gut ...“
Behaupten Sie hinterher nicht, Sie hätten es nicht gewußt. Hinterher, wenn Sie ihre roten Pusteln, die so furchtbar jucken, zum Arzt tragen und Ihnen die Haare gleich büschelweise vom ständig schmerzenden Kopf fallen. Jammern Sie bloß nicht! Sonst werden wir Ihnen sagen müssen: Sie haben es ja nicht anders gewollt.
Andererseits sind wir natürlich gespannt darauf, welche Adresse Sie sich diesmal einfallen lassen, wenn Sie uns auf einer schlecht fotografierten Postkarte mit einem Gemisch aus Schwachsinn, Schweiß und Sonnencreme weismachen wollen, es gehe Ihnen gut. „Liebe Redaktion. Das Wetter hier ist phantastisch. Jeden Tag scheint die Sonne. Das Wasser ist wunderbar warm. Essen und Unterkunft sind o.k. Am liebsten würden wir hierbleiben. Grüße aus dem Paradies senden Euch Eure Leser.“ Glauben Sie bloß nicht, wir würden darauf reinfallen!
Denn wir lesen zwischen den Zeilen. Wir wissen, daß Sie jeden Morgen benommen aus ihrem autangeschwängerten Zelt krabbeln, in dem Sie sich fast erdrosselt hätten, weil Sie die Kordeln Ihres chemikaliengetränkten Mumienschlafsacks enger und enger um ihren Hals zogen – so eng, daß die Moskitos schließlich nicht mehr herauskonnten. Obwohl Sie wissen, daß der Malaria-Erreger gegen die bunten Kapseln immun ist, nehmen Sie eine zum Frühstück. Und noch eine gegen die Übelkeit, die sie hervorruft. Und eine dritte, um den stechenden Schmerz zu besänftigen, der sich zusammen mit den Pestiziden aus dem billigen Rotwein in ihren Nieren eingenistet hat. Den Fruchtsalat lassen Sie zurückgehen. Denn Sie wissen, daß sich hinter der appetitlichen Fassade mörderische Typhus-Erreger verbergen, denen Sie schutzlos ausgeliefert sind, weil Sie die Lebendvirenimpfung ausgekotzt haben. In einer einzigen schrecklichen Nacht.
Sie lösen eine Vitamintablette in Mineralwasser auf und wanken zum Strand. Das weiße Bettlaken, in dessen Mitte Sie ein Loch geschnitten haben, um ihren Kopf hindurchzustecken, können Sie nach dem Urlaub wegschmeißen. Die vielen Ölflecken gehen in der Waschmaschine nie wieder raus.
Nachdem die Bläschenallergie Ihre Kniekehlen verlassen und sich in der Leistengegend etabliert hat, werfen Sie auch die Sonnenschutzcreme mit dem dreistelligen Schutzfaktor ins silbrig schimmernde Wasser. Das Baden haben Sie längst aufgegeben. Die Nachricht, daß DDT- und PCB- Rückstände überall sind, hat Sie mit der Bild-Zeitung erreicht, und daß die Gifte ihren Hormonhaushalt aufmischen, wollen Sie natürlich nicht. Außerdem ekeln Sie sich vor Quallen. Und so wandern Sie mit dem Schatten über den Strand, wimmeln Eisverkäufer ab, weichen wenig erfolgreich harten Beachbällen aus und langweilen sich mit dem Buch, das Sie schon immer lesen wollten.
Abends gehen Sie essen. Sie haben es aufgegeben, den Einheimischen zu erklären, daß man Fisch nicht grillen darf. Ihr Krebsrisiko nähert sich jenem Grad an, den man Gewißheit nennt. Aber selbst ein rohes Thunfischsteak bleibt Ihnen im Halse stecken, weil Sie plötzlich an all die Delphine denken müssen, die in den Treibnetzen elend verenden. Halb ohnmächtig vor Hunger, greifen Sie sich ein versalzenes Pomme frite, in der Hoffnung, die Salmonellen seien im Fett umgekommen.
Wenn die Sonne im Ozonloch verschwindet, betäuben Sie sich mit Chianti, den Sie unter anderen Umständen natürlich boykottieren, weil Sie den Italienern klarmachen wollen, daß man Singvögel nicht essen darf. Auf den romantischen Strandspaziergang verzichten Sie, weil Sie im Mondlicht den angeschwemmten Fischkadavern nicht rechtzeitig ausweichen können.
Besonders schlimm aber ist es in der Nacht. Dann sehen Sie sich von den traurigen Mandelaugen der taiwanesischen Zeltnäherinnen verfolgt, die sich vergiften ließen, damit Sie im Trockenen liegen. Ihr korrektes linkes Gewissen läßt Sie nicht zur Ruhe kommen. Aber weil Sie ohnehin kaum auf dem Rücken schlafen können, was im Urlaub aber sein muß, wegen des Bauchgurts, in dem Sie die Travellerschecks, den Reisepaß, das Flugticket und den internationalen Krankenschein verstaut haben, macht das eigentlich auch nichts mehr. Ihr einziger Trost in dieser Lage: Sie sind nicht allein. Andere Bauchgurtträger schnarchen mit Ihnen.
Zu dumm, denken Sie, daß ich das Ohropax zu Hause gelassen habe. Zu Hause, zu Hause! jubiliert es plötzlich in Ihren geschundenen Eingeweiden, und ein Seufzer entringt sich Ihren aufgesprungenen Lippen: „Wäre ich nur zu Hause geblieben!“ Ja, so wird er werden, Ihr Urlaub. Und sagen Sie hinterher nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt. Beate Herkendell
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