: Was die Welt kostet Von Carola Rönneburg
„Achwashotel“, hatte Frau H. gesagt, „viel zu teuer. Für eine Nacht können wir auch in eine Privatunterkunft gehen.“ Leipzig sei schließlich eine Messestadt; seine Bewohner hätten jahrzehntelange Erfahrung mit der Unterbringung auswärtiger Gäste. Außerdem, hatte sie mir voller Vorfreude versichert, sei der Blick in fremde Wohnungen immer interessant und auch lehrreich.
Auf dem Weg zu unserem Quartier war ich immer noch skeptisch. Wahrscheinlich würden wir gemeinsam auf einem Klappsofa zurechtkommen und uns in Tischdecken wickeln müssen, unkte ich. Unfug, wies mich Frau H. zurecht: Sie habe bereits mit unserer Wirtin telefoniert. Wir würden in richtigen Betten schlafen, vom Kissen bis zum Handtuch sei alles da.
Das mit den Betten stimmte. Im Hause unserer Gastgeberin eingetroffen, standen Frau H. und ich staunend vor einem raumfüllenden Ehebett, über dem zwei breite Regalbretter angebracht waren, darauf eine vermutlich bulgarische Glassammlung in den Farben Rubinrot und Marineblau. Überwältigt von diesem Anblick, hätten wir fast das Schild an der grüngelb tapezierten Wand übersehen: Rauchen verboten! Wir seufzten und ließen uns das Badezimmer zeigen.
Zurück in unserem Zimmer, nahm Frau H. eines der beiden Handtücher auf, die uns zugeteilt waren, und faltete es auseinander. „Dreißig Zentimeter Länge, fünfzehn Zentimeter Breite“, schätzte sie. „Dicke zwei Millimeter. Sehr praktisch beim Abstauben bulgarischer Glassammlungen. Laß uns jetzt erst mal bezahlen.“ Wir stöberten unsere Herbergsmutter in ihrer Küche auf. Sie lotste uns in den Korridor und nahm die Miete entgegen. „Jetzt müssen wir uns noch einigen, wann Sie frühstücken wollen“, sagte sie und stopfte die Geldscheine in ihre Schürze. „Wir würden gern etwas später aufstehen“, erklärte Frau H. lächelnd. „Später?“ fragte die Leipzigerin argwöhnisch zurück, „aber doch nicht nach neun Uhr?“ Ich hustete. „Doch“, entgegnete Frau H., „sogar zehn oder halb elf.“ Das war zuviel, wußten wir. Deshalb schlug Frau H. nun vor, wir würden auf Kaffee und Brötchen verzichten, wenn wir nur länger schlafen könnten. „Das Frühstück ist aber im Preis inbegriffen“, wehrte unsere Wirtin diesen Vorstoß ab. Frau H. wußte Rat: „Das macht nichts. Es bleibt bei der Rechnung, und wir nehmen Ihren Service trotzdem nicht in Anspruch.“ Nun war ich dran. „Äh, die Handtücher“, hob ich an. „Ja?“ Die Handtücher, erläuterte ich, wären kaum geeignet, sich damit nach dem Duschen abzutrocknen. „Dies ist kein Hotel“, parierte die Handtuchinhaberin. „Nein“, gab ich zu, aber da trat Frau H. auf den Plan: „Sicherlich könnten Sie uns gegen eine Gebühr größere Handtücher überlassen?“
Ja, das funktionierte. Wir tauschten Scheine gegen Badelaken und schüttelten uns heimlich die Hände. Dann holte ich noch einmal mein Portemonnaie hervor. „In unserem Zimmer hängt ein ,Rauchen verboten‘-Schild...“, bemerkte ich. „Ach, das!“ Unsere Wirtin strahlte: „Das drehen Sie einfach um.“ Ich zahlte, und gegen einen weiteren Obolus erhielten wir sogar einen Aschenbecher.
Am nächsten Tag verließen wir Leipzig, ausgeschlafen und geduscht. Gegen ein geringes Entgelt hatte uns unsere Vermieterin sogar eine gute Reise gewünscht.
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