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Was darf ein Joghurt kosten?

Pünktlich zur Grünen Woche: Agrarbündnis veröffentlicht den Kritischen Agrarbericht, der Präsident des Bauernverbandes fordert höhere Preise für Lebensmittel im Laden  ■ Aus Berlin Niklaus Hablützel

Constantin Freiherr Heeremann hat einen neuen Feind ausgemacht. Die Handelsketten, die immer größer werden, seien heute dabei, den deutschen Bauernstand ins Elend zu treiben, sagte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes gestern zur Eröffnung der Grünen Woche in Berlin. Heeremanns Beispiel: „15 Pfennig für 125 Gramm Joghurt sind wirtschaftlicher Unsinn und ein Hohn für die Erzeuger.“ Bauern, dozierte der Freiherr weiter, brauchten „Preise, die eine Gewinnmarge einschließen“. Das sei „wirtschaftlich sinnvoller, als die Bauerneinkommen mit Subventionen zu stützen“.

Manche trauten ihren Ohren kaum. Wenn der Freiherr in den letzten Jahren zur Eröffnung der Grünen Woche sprach, nahm er mit bodenständiger Regelmäßigkeit die EU ins Visier. Was immer die Brüsseler Agrarbürokraten aushecken mochten, der deutsche Bauernchef rechnete ihnen vor, um wieviel Prozent das Einkommen der Landwirte in diesem Jahr gesunken sei.

Die Statistik gab ihm stets recht, umstritten war nur Heeremanns Erklärung des Phänomens. Der Bauernverband rief gelegentlich zum Sturm gegen Brüssel, und auch Bonner Landwirtschaftsminister hatten mit Pfeifkonzerten empörter Verbandsmitglieder zu rechnen. Eine Alternative zur Agrarpolitik der Regierung hatte Heeremann jedoch nie anzubieten, werfen ihm die Kritiker der Bauernopposition vor. Die höheren Subventionen, die der Bauernverband forderte, so das Argument, förderten die Konzentration der landwirtschaftlichen Produktion. Der Bauernverband selbst sei damit schuld am Sterben der kleinen Betriebe.

Doch mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten haben die alten Kampfparolen ihren Sinn verloren. Nicht nur Heeremann, auch die Opposition muß umdenken. In den Staaten Mittel- und Südosteuropas ist der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt höher als in der EU, zugleich drängen diese Länder mit konkurrenzlos billigen Agrarexporten auf den Westmarkt.

Ebenfalls pünktlich zur Eröffnung der Grünen Woche hat gestern das „Agrarbündnis“ seinen „Kritischen Agrarbericht“ für das Jahr 1996 veröffentlicht. Mehrere Beiträge der 130 Seiten starken Aufsatzsammlung beschäftigen sich mit diesem Problem. Die Autoren und Autorinnen können noch keine Lösung anbieten. Grundsätzlich plädieren sie für eine ökologische „Regionalisierung“ der Märkte.

Am genauen Gegenteil arbeitet jedoch die EU. Politisch ist eine Integration der Oststaaten erwünscht, die Kommission will deshalb auch den Agrarmarkt liberalisieren. Das alarmiert die Europäische Bauernkoordination, den Brüsseler Dachverband oppositioneller Bauernorganisationen. Programmatisch hat deren Sprecher Gérard Choplin in den Reformversuchen der Kommission eine „konservative Offensive gegen die gemeinsame Agrarpolitik“ der EU ausgemacht.

Europas Bauern würden damit endgültig den Weltmarktpreisen ausgeliefert. Gegen diese „Zerstörung“ der EU-Agrarpolitik müsse sich der Dachverband zur Wehr setzen. Es gelte, den Agrarmarkt der EU „nachhaltig zu reformieren“.

Eher leise Töne also bei der Opposition in Brüssel. „Nachhaltige“ Reformen der Agrarstruktur fordert sie seit Jahren – ohne Erfolg. Auch der neue „Kritische Agrarbericht“ analysiert die Folgen der EU-Politik. Dumpingpreise für europäisches Exportfleisch haben im letzten Jahr auch in Afrika lokale Märkte runiert. Weltmarktpreise würden nicht nur in Osteuropa, sondern auch in der Dritten Welt Einkommenschancen verbessern. Trotzdem merkt Choplin lobend an, auch der neue, österreichische Agrarkommissar Fischler habe sich von den Liberalisierungstendenzen in der Kommission distanziert und halte die Integration Osteuropas mit der EU-Agrarpolitik für vereinbar.

Fragt sich nur, wie. Die deutschen Grünen haben letzte Woche vorgeschlagen, mit einem veränderten Subventionskatalog den Übergang zu Marktpreisen abzufedern. Sie setzen unter anderem auf wachsende Märkte für biologisch angebaute Produkte, in denen schon heute existenzsichernde Preise durchgesetzt werden können – eine Perspektive, die selbst innerhalb der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft umstritten ist. Denn gerade traditionelle Kleinbetriebe am Rande des Existenzminimums können die Kosten für die Umstellung auf öklogischen Landbau oft nicht tragen.

Für sanfte Reformen und Biogemüse konnte sich Heeremann ohnehin noch nie erwärmen. Wenn aber auch er umdenken muß, dann mit der ihm eigenen Lautstärke. Und wenn Weltmarkt tatsächlich noch schlimmer sein soll als die Milchquoten, dann will er gleich an der deutschen Ladentheke dagegen ins Feld ziehen. Heeremann drohte gestern damit, die „Anbietermacht“ der Bauern gegen die Handelsketten zu organisieren. Von einem Preiskartell wolle er nicht reden, ließ er verlauten – um eben damit zu sagen, woran er denkt.

Schützenhilfe erhofft er sich ausgerechnet vom Kartellamt, das den Agrarmarkt der EU von Amts wegen nur mit stummer Verzweiflung betrachten darf. Nun fordert aber auch Heeremann „strengere Kartellgesetze“ – natürlich nicht gegen die Landwirte, sondern gegen die Handelsketten.

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