piwik no script img
taz logo

Archiv-Artikel

Was bleibt ist ein Badetuch

Nach dem 0:1 beim VfL Wolfsburg kriegt Hannovers Trainer Ewald Lienen Gott sei Dank nur eine Ergebniskrise, während Wolfsburg sich mit einem Nürtinger herumärgern muss

von Peter Unfried

Die Königsdisziplin des Fußballjournalismus ist ohne Zweifel der Journalistentipp. Wer das Spielergebnis richtig getippt hat, gewinnt ewigen Ruhm und ein Badetuch einer Bierfirma. Zumindest in Wolfsburg.

Das in mancher Beziehung qualvolle 1:0 des VfL Wolfsburg gegen Hannover 96 hatte der Sportchef der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) richtig prophezeit. Als sein Name durch den Presseraum hallte, machte Ewald Lienen ein Gesicht, wie es derzeit nur Ewald Lienen kann. Dann zeigte der Trainer von Hannover 96 dem Journalisten den Anerkennungs-Daumen. Es wäre ungehörig und zwecklos, darüber zu spekulieren, was er damit genau aussagen wollte. Es ist unmöglich, einzuschätzen, ob Lienen mit Ironie arbeitet oder nicht. Jedenfalls nahm er das Versöhnungsangebot des Siegers („Ich hoffe, Sie verzeihen mir.“) nicht wirklich an („Es fällt mir schwer.“)

Lienen, 51, ist seit ziemlich genau einem Jahr bei Hannover 96. Und er sieht sich in diesen Tagen mit demselben Problem konfrontiert wie sein Wolfsburger Kollege Erik Gerets. Die Hoffnungen, so schrieb es die poetische Hannoversche Neue Presse, „sind dahingeschmolzen, wie Männer, denen Heidi Klum ihre Katjes zeigt“. Man muss eine Saison einigermaßen schadensfrei zu Ende bringen, die nach Meinung beider Trainer viel mehr hätte hergeben können.

Lienen hat es im Moment schwerer: Hannover – zeitweise mal auf Rang 4 – hat mit vier Punkten die schlechteste Rückrundenbilanz, schießt keine Tore mehr, und im 96er Fanblock – wo Anstand und Stil offenbar nicht zu Hause sind – stimmten sie auch am Samstag schon wieder ein paar unfreundliche „Lienen raus“-Strophen an. Lienens Öffentlichkeitsarbeit sieht so aus, dass er betont sachlich und geduldig gegen einen kausalen Zusammenhang zwischen ausbleibendem Erfolg und der Arbeit von Mannschaft und Trainer anargumentiert. Dafür hat er den Terminus „Ergebniskrise“ eingeführt. Soll heißen: Ergebnis fehlt, Tor fehlt, aber Leistung stimmt.

Die Spielanalyse geriet ein bisschen sehr euphemistisch („Mehr Torchancen kann man nicht herausspielen.“). Richtig ist aber schon, dass Staijner (2) und Paunovic gute Torchancen hatten und Cherundolo zweimal die Latte traf. Richtig ist auch, dass Hannover 96 nach dem frühen 0:1 von Mensequez (6.) gegen hinten drin auf weitere Fehler lauernde Wolfsburger sich diese Torchancen immerhin erarbeitete. Und zudem auch nach der Halbzeit mit dann drei Stürmern „die Räume so klein hielt“ (Gerets), dass der VfL mit den dafür prädestinierten Konterstürmern Petrov und Mensequez den zweiten Treffer nicht setzen konnte.

Zwar erklärte Lienen im offiziellen Teil der Pressekonferenz, er werde keinesfalls über seinen tschechischen Stürmer Jiri Stajner „herfallen“, aber wie er dafür im inoffiziellen Teil über ihn herfiel, lässt vermuten: ein Eisernes Kreuz für besondere Leistungen wird er Stajner diese Woche nicht überreichen. Speziell eine der Großchancen Stajners brachte ihn auf („Wenn ich den nicht reinmache, kann ich als Stürmer nach Hause gehen.“). Und dass er den Ballverlust Stajners kritisch sah, der zum Tor führte, konnte auch ein des Lippenlesens Unkundiger aus der Ferne sehen.

Grundsätzlich profitierte Hannover vom mittlerweile bescheidenen Niveau des VfL. Erstens fehlte d‘Alessandro, zweitens erinnert nicht viel an jenen Herbst, „als wir Könige waren“, wie Gerets das nennt. Damals stimmte zumindest zu Hause die Balance zwischen Organisation und Kreativspiel, zwischen harter Arbeit und Phasen spektakulären und erfolgreichen Fußballs. Und nun? Gerets sieht kämpferische Fortschritte. Man steht jedenfalls, wo man immer stand (8.) und muss sich mit UI-Cup und Petitessen wie der Diskussion um die Öffentlichkeitsarbeit des am Samstag verletzten Nationalstürmers Thomas Brdaric herumschlagen.

Der zweitberühmteste Sohn Nürtingens (nach Hölderlin, vor Harald Schmidt oder umgekehrt) mag nicht länger in Gerets‘ 4-3-3 eine Art Außenstürmer geben („Da kann ich meine Qualitäten nicht ausspielen“). Zusehen will er auch nicht („Ich habe die Berechtigung zu spielen“). Wenn nicht hier, dann eben dort. Dass VfL-Manager Thomas Strunz seinen „Top-Torjäger mundtot“ gemacht hat, wie die Lokalpresse vermeldete und einen Auftritt im NDR am Sonntagabend verbot, bestreitet der Manager. Brdaric habe das selbst „so entschieden“. Er, Strunz, trage die Entscheidung mit.

Was Juan Carlos Mensequez betrifft, der statt Brdaric spielte, so spielte er einen neoklassischen Rechtsaußen und erzielte seinen ersten Bundesligatreffer. Gerets sieht ihn grundsätzlich kritisch, auch weil er sich „im Training hängenließ“. Strunz sagt, der Treffer vom Samstag sei „Balsam auf seine Seele, die in der Vergangenheit einiges aushalten mußte.“ Manches ist nicht optimal gelaufen, seit der grade erst 21 gewordene Argentinier vor anderthalb Jahren mit einem im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Debüt gegen den FC Bayern andeutete, welches Potenzial in ihm steckt – und immer noch und grade im modernen Fußball in der Nutzung eines klassischen Flügelstürmers.

„Vielleicht habe ich damals gegen Bayern die Latte zu hoch gelegt“, sagt Mensequez heute. Offiziell ist nicht entschieden, ob ihm der VfL noch Zeit gibt oder ihn abschiebt. Mensequez selbst wusste nicht mal, dass er zur Disposition steht: „Ich lese keine Zeitung.“