: Was bitte war noch mal die NVA?
■ Erosionserscheinungen bei der Armee / Fahnenflucht und Bewerbungen bei der Bundeswehr
Berlin (afp/ap) - Bei Dienststellen der Bundeswehr sind seit Öffnung der Mauer mehr als 10.000 Anfragen von Soldaten der Nationalen Volksarmee zur Übernahme in die Streitkräfte eingegangen. Das sagte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bernd Wilz, einer Sonntagszeitung. Die Zahl der konkreten Bewerbungen bezifferte Wilz auf 300. Durch die Übersiedler in die BRD habe die NVA etwa zwei Divisionen an Reservisten verloren, erklärte der Politiker nach Angaben des Blattes.
Meldungen, nach denen rund 50 Prozent der NVA-Soldaten nicht zum Dienst erschienen, also fahnenflüchtig seien, wurden hingegen von DDR-Verteidigungsminister Theodor Hoffmann als „stark übertrieben“ zurückgewiesen.
Allerdings: Admiral Hoffmann gab am Wochenende in Berlin „Auflösungserscheinungen und Probleme“ zu. Die Zahl der Fahnenflüchtigen könne bei 500 bis 1.000 liegen. Die Moral der Truppe sei nicht befriedigend. Ein wichtiger Grund sei die Kritik von außen, so zum Beispiel von seiten junger Männer, die bei Demonstrationen Wehrpässe verbrannt hatten.
Berufssoldaten sind Hoffmanns Angaben zufolge zudem darüber verunsichert, wie es nach den Wahlen am 18. März weitergehe.
Die Stärke der Nationalen Volksarmee bezifferte Verteidigungsminister Hoffmann auf 130.000 Mann - zuzüglich 12.000 Mann, die in der Produktion oder im öffentlichen Dienst eingesetzt seien. PDS-Minister Hoffmann sagte, es gebe im Verteidigungsministerium Konzepte zur Schaffung einer Berufsarmee mit einer Stärke von von 60.000 oder 80.000 Mann. Die Zahl könne auch unterschritten werden. Eine regelrechte Vereinigung beider Streitkräfte sei weder möglich noch nötig. Es werde aber bei der Wehrpflicht bleiben, wenn die Volkskammer nichts anderes beschließe.
Der Verteidigungsminister kündigte die Veröffentlichung eines Weißbuches an, in dem erstmals Auskunft über Truppenstärke und Ausrüstung der Streitkräfte gegeben werden soll. Gegenwärtig täten 130.000 Mann Dienst an der Waffe. Die Erfüllung der Grenzsicherung und der Bündnisverpflichtungen sei damit sichergestellt. Weitere 13.000 Soldaten seien zur Aufrechterhaltung der Produktion in die Wirtschaft und in das Gesundheitswesen abkommandiert. Die Differenz zur Sollstärke von 170.000 kommt nach Angaben des Ministers durch planmäßige Entlassungen zustande. Auch der Verband der DDR-Berufssoldaten hat die Lage bei den Streitkräften als „bedrohlich“ bezeichnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen