: Warum man Weihnachten keine Kätzchen isst
Bitten wir eine Expertin um Auskunft. Eine kleine Pelzdame, die sich in Futterangelegenheiten sehr gut auskennt
Meine Name ist Conchita Corazón Martínez. Das stimmt zwar gar nicht. In Wahrheit heiße ich nämlich Katz. Wie alle Katzen. Wir brauchen keine Namen, wir haben Charakter. Aber meine erste Dienerin sah der pummeligen spanischen Tennisspielerin Conchita Martínez ähnlich, und mein neuer Hausdiener meinte, als er mich kennen lernte, wenn schon ein spanischer Name, dann auch ein richtig langer. Besuchern stellt er mich gern als seine mexikanische Haushälterin vor. Mein Diener hat eben ungefähr so viel Humor wie Katzenstreu. Doch lassen wir ihm seine Träume, wir wissen doch alle, wie peinlich und eitel Menschen sind. Das heutige Personal hat ja nur selten ein höheres intellektuelles Niveau als ein Dosenöffner.
Wobei mein Mitbewohner und seine Gefährtin schon sehr auf mein Futter achten – und nebenher auf ihres. Besonders im Moment. Da werden Tag für Tag illustre Speisen zubereitet und aufgetischt. Und nebenbei fällt auch für die Dienerschaft etwas ab. Das muss an diesem „Weihnachten“ liegen, das jetzt bevorsteht. Ein Fest, wie mir erklärt wurde, das an ein neu geborenes Kind erinnert. Also an mich. Und an meine weiche Mutter. An ihren felligen Bauch. An ihre rosa Zitzen, aus denen warme Milch floss. An ihren Herzschlag, der mich und meine Geschwister in den Schlaf wiegte. Bis die kalte, harte Hand kam, die mich aus dem Nest wegriss. Das ist der Tod, dachte ich … – soweit ich schon denken konnte. Nun ja, ich war damals eine noch sehr kleine Muschel. Heute bin ich eine gestandene Pelzdame.
Aber gerade aufgrund dieser Erfahrung, die sonst wohl niemand durchgemacht hat, bin ich die richtige Expertin für die Frage: Warum essen Menschen zu Weihnachten keine Kätzchen? Tja nun. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Auf so etwas kann nur mein Diener kommen. Sie wissen, der mich für seine Haushälterin hält.
Vielleicht weil wir so niedlich sind? Aber das ist es nicht. Menschen essen ja auch Ferkel. Schwein käme mir nie unter.
Also womöglich, weil wir nicht schmecken? Dazu ließe sich einiges sagen. Ich erwähne hier nur die Worte „Aldi“ und „Lidl“, die meinen Diener sehr wütend machen. „Ekelhaft! Widerlich!“, flucht er immer, wenn er von Billigfleisch in Billigmärkten hört und von Menschen, die dort ihre Beute machen. Meine erste Dienerin hat einmal versucht, mir Hackfleisch aus einem dieser durchsichtigen Plastiksärge vorzusetzen, die sie in Abfallmärkten anbieten: Aas mit Parfüm. Da würde ich Sie gern mal auf eine frische Ratte einladen. Ich jedenfalls bekam keinen Bissen herunter. Warum Menschen so etwas bloß in sich hineinwürgen? „Billig macht dumm“, meint mein Diener, und vielleicht ist er doch eine Spur klüger, als ich anfangs dachte.
Ich werde Menschen nie verstehen. Oder können Sie sich erklären, warum diese Wesen nie schnurren? Es kann eigentlich nur einen einzigen Grund geben, warum Menschen zu Weihnachten keine Kätzchen essen: Weil wir zu klug, lieb und teuer sind. Ja, das ist der wahre Grund. Und wenn Sie sich für diese Expertenauskunft bedanken möchten, dann bitte mit frischer Kalbsleber. Ja, das wäre mir schon sehr recht. AUFGEZEICHNET VON
MICHAEL RINGEL