themenläden und andere clubs: Warum gute Trends im Moment keine Chance haben
DER SOMMER UND DIE KUNST
Die Temperaturen sind hoch, der Sommer liegt über der Stadt. Wenn es Abend wird, lassen die Leute ihre Jacken daheim und stellen sich auf die Straße und rauchen. An die spektakulärsten Ausgeh-Trends der vergangenen Wochen kann sich fast niemand mehr erinnern. Natürlich haben sich Agressive Spending und After Work Clubs nicht durchgesetzt, und genau dies beweist im Nachhinein ihre Qualität. Denn gute Trends setzen sich niemals durch, weil es sie letztlich davor bewahrt, zur Gewohnheit zu werden.
Denn die Gewohnheit ist bekanntlich der natürliche Feind des Trends und der Sommer die Zeit der Gewohnheit; dank der hohen Temperaturen ist es in dieser Jahreszeit für Trends nämlich zu anstrengend. Also stehen die Leute auf der Straße, wie sie es schon seit Jahren im Sommer tun.
Sie stehen vor Galerien, vor staubigen und ausgeräumten, von verwirrten Studenten betriebenen Ladenlokalen mit Bierverkauf aus dem Hinterzimmer. Die Orte und Anlässe geben den Gehweg-Versammlungen dabei einen gewissen Event-Charakter, der aber nur allzu leicht als Täuschung zu durchschauen ist. Die Begegnungsstätten mögen sich ändern, die mutmaßlichen Events auch, doch die Versammlungen setzen sich stets aus denselben Leuten zusammen. Im Sommer geht man nämlich nicht aus, im Sommer trifft man sich.
Der Unterschied zwischen Ausgehen und Treffen ist vergleichbar mit dem zwischen Trends und Gewohnheiten. Das Ausgehen an sich beinhaltet wie der Trend das Versprechen auf etwas Neues. Neue Leute, neue Orte und unbekannte Erfahrungen. Zum Ausgehen gehört eine Portion Nervosität und der unbedingte Wille zum Erlebnis. Dass man sich vor dem Ausgehen mindestens drei Mal umzieht, versteht sich von selbst. Da man aber im Sommer ohnehin mehrmals täglich die Kleider wechseln muss, und eben dies bald die Qualität einer Gewohnheit hat, wird die Möglichkeit des definitionsgerechten Ausgehens durch saisonbedingte Umstände ungemein erschwert. Zieht man dazu in Betracht, dass alle Merkmale des Ausgehens (wie auch des Trends) mit erhöhter Anstrengung verbunden sind, trifft man sich im Sommer von daher aus Gewohnheit.
Da die Treffen sich zwar an verschiedenen Orten, aber in der immer selben Besetzung Tag für Tag wiederholen, bekommen sie mit der Zeit einen familiären Charakter. Jeder kennt jeden, es gibt keine Geheimnisse, es gibt Leute, die reden, und andere, die nur zuhören. Bald entsteht ein Zusammengehörigkeitsgefühl, dass sich auf nichts außer einer Gewohnheit stützt, später bleibt der Gesprächstoff aus. Das ist naürlich ein Problem. Es kann kein Zufall sein, dass die Treffen überraschend häufig – wie erwähnt – in Galeriennähe stattfinden. Die so genannte „Kunst“, sei es nun ein verschwommenes Dia, eine interessant im Raum plazierte Topfpflanze oder eine halb bekleidete Schaufensterpuppe, erfüllt dabei einen doppelten Zweck. Einerseits bietet sie einen vorübergehenden Anlass zum Gespräch, andererseits versorgt sie die Treffen mit eben jenem Aspekt, der allen daran Beteiligten so dringend fehlt: mit einem Hauch von Trend.
Dieser Hauch soll verschleiern, dass es sich bei den Treffen um eine Gewohnheit handelt. Sie soll Aufregung versprühen, Sinn stiftend wirken, der Beweggrund sein, für den man später gelangweilt auf der Straße steht und raucht. Sie soll der Beweis dafür sein, dass das Treffen in Wirklichkeit Bestandteil eines spannenden neuen Ausgeh-Trends ist. Doch Kunst ist kein Trend. Kunst hat sich schon lange durchgesetzt. Es sieht fast so aus, als wurde sie vor Jahren im Sommer in Berlin erfunden.
HARALD PETERS
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