der chefredakteur : Warum Sie noch?
Die Frage hat Charme:
Nun sagen Sie mal, warum Sie überhaupt noch da sind?
Sie Ossi.
Und auch noch Chefredakteur? Schließlich sitzen auf vielen erstklassigen Stühlen im Osten viele drittklassige Leute aus dem Westen. Ja, warum?
Keine Stasi.
Keine Partei.
Auch kein Polit-Studium in Moskau. Was immerhin lange als Gerücht durch die Lande waberte.
Das ist sicherlich eine Erklärung.
Aber reicht die schon aus?
Da wäre noch der Geburtsort Workuta.
Sicher ungewöhnlich, aber kein persönliches Verdienst. Der Vater saß als Emigrant zwanzig Jahre in der Tundra im Lager. Daher auch der für deutsche Ohren eher ungewöhnliche Vorname. Als Horst oder Erich konnte man sich auf dem Hof hinter dem Stacheldraht auch gleich Faschist nennen. Als Sergej gehörte man fast dazu …
Aber eben nur fast.
Für die Russen ein Deutscher.
Für die Deutschen lange Zeit immer irgendwie auch ein Russe.
Für die Westdeutschen ein …
Ja, was denn nun? Fünfzehn Jahre danach.
Dabei sein, aber nicht wirklich dazugehören.
Gestern. Heute. Morgen.
Das ist für einen Journalisten nicht das Schlechteste.
Ist das vielleicht die Antwort?
SERGEJ LOCHTHOFEN
Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“