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Warten auf die letzte Welle

Die deutschen Binnenwerften kämpfen ums Überleben / Katastrophale Auftragslage – auf 55 Werften kommen 49 Neubauaufträge – und ein aussichtsloser Kampf gegen die subventionierte ausländische Konkurrenz / Aus dem Werfthilfeprogramm des Bundes erhalten die Binnenwerften keinen Pfennig  ■ Von Norbert Kandel

Ein- bis zweimal im Jahr kommt die große Welle. Dann öffnet die Edertalsperre für 15 Stunden ihre Schleusen und vom Rothaargebirge strömen drei Millionen Kubikmeter Wasser zusätzlich die Eder hinunter, fließen in die Fluda und schwemmen dann die Weser auf. 38 Stunden später erreicht die Woge, die den Wasserspiegel der Weser um einen halben Meter hebt, die 150 Kilometer entfernte Münchhausenstadt Bodenwerder. „Dann muß das Schiff weg“, weiß Hubert Windheuser. Betriebsratsvorsitzender der Arminius-Werft, „es reitet auf der Welle die Weser runter; das funktioniert prima.“ Die nächste Welle ist schon für das Frühjahr 1988 bestellt. Dann läuft der Neubautanker „Schwelgern“ für die Stinnes-Reederei vom Stapel – für die 160 Schiffbauer auf der Weserwerft das letzte Schiff, wenn der Vorstand des VEBA- Konzerns die Schließung offiziell billigen sollte.

Die Arminius-Werft ist eine von nurmehr 55 Binnenwerften in der Bundesrepublik und die letzte im niedersächsischen Hinterland. Hier werden inmitten der sanften Hügel des Weserberglandes Tanker, Küstenmotorschiffe und Spezialschiffe bis 110 Meter Länge gebaut – mehr läßt die Enge der leicht gekrümmten Hamelner Schleuse nicht zu.

Trotz des ungünstigen Standortes an der Oberweser, der Reparaturtätigkeiten ausschließt, zählt die Werft zu den leistungsfähigsten Betrieben im Lande. Für den Vorstand der Rhenus AG und die Betriebsräte ist sie gar „die modernste deutsche Binnenwerft“. Neben der hochqualifizierten Belegschaft, die seit Gedenken Schiffsrümpfe zusammenschweißt und einen Altersdurchschnitt von etwa 40 Jahren aufweist, hat die Werft auch kapitalkräftige Eigner: Hundertprozentige Mutter ist der Dortmunder Speditions- und Lagereikonzern Rhenus, der wiederum zur Stinnes AG gehört, an der der teilprivatisierte, bundeseigene VEBA-Kon zern 98 Prozent der Anteile hält. Und doch soll die Arminius- Werft, so hat es Mitte Oktober der Beirat der Mutter Rhenus empfohlen, im Sommer 1988 geschlossen werden.

„Die Werften passen denen nicht ins Konzept“, sagt der gebürtige Rheinländer Windheuser bedächtig und erzählt von den ungeliebten Kindern der Stinnes AG, die ehemals in der 1972 gegründeten „Werftunion“ zusammengeschlossen waren: Die Neckarwerft in Neckarsulm schloß 1985 ihre Tore, die Werft Gustavburg in Mainz gab 1986 auf, der Zweigbetrieb der Arminius-Werft in Hannover mit 20 Beschäftigten im Frühjahr 1987. Auch die Cassens- Werft in Emden, die Seeschiffe baut, sowie die Weserwerft im westfälischen Minden, wo 80 Beschäftigte nur noch Reparaturen durchführen, schreiben rote Zahlen und sind in Gefahr. Zwar versprach Rhenus-Vorstand Hans- Günther Mertens am 23. Juni auf der Hauptversammlung in Dortmund, „alle Anstrengungen“ zum Erhalt der Betriebe zu unternehmen, doch müsse sich jedes Unternehmen selbst im Markt behaupten: „Wenn dies auf Dauer nicht möglich ist, werden weitere Anpassungsmaßnahmen nicht zu umgehen sein.“

Nicht nur im eigenen Hause, sondern im ganzen Land sind die Binnenwerften eingebrochen. Der Verband der deutschen Schiffbauindustrie (VDS) in Hamburg kommt mit dem Streichen auf seiner Mitgliederliste kaum nach. Mittlerweile fühlen sich kleinere Werfteigner vom Verband vernachlässigt, sehen keinen Sinn mehr darin, Beiträge zu zahlen und sind, wie die Friedrich Rasche KG, aus dem Verband ausgetreten. Betriebsleiter Willi Kuhlmann, der in Seelze am Mittellandkanal mit 30 Beschäftigten Schiffsreparaturen durchführt: „Das ist das Gemeine, daß die Seewerften jetzt die Binnenschiffe mitbauen.“

Seit 1973 ist die Zahl der Binnenschiffswerften von 75 auf 55 zurückgegangen, die Zahl der Be schäftigten fiel von 6667 auf heute 3171 (Stand August 1987). Während die Seeschiffswerften im gleichen Zeitraum ihre Belegschaften um circa 35 Prozent abgebaut haben, waren es bei den Binnenwerften über 50 Prozent. „Es ist überhaupt nicht bekannt“, stöhnt Kurt Schellenberger von der „Vereinigung der Schiffswerften im Ruhrgebiet“, daß die Krise im Schiffbau nicht nur die Küste, sondern „in viel stärkerem Maße“ den Binnenschiffbau betreffe.

Ein Ende des Abbaus ist nicht abzusehen. Im letzten Jahr lieferten die Binnenwerften 49 Schiffe im Wert von 65 Millionen Mark ab. Der Umsatzwert lag damit um 40 Prozent unter dem des Vorjahres. Die Neubauumsätze hatten nur noch einen Anteil von 20 Prozent zu den Gesamtumsätzen, der Hauptanteil fiel auf Reparaturen und Seviceleistungen sowie zu geringem Anteil auf schiffsfremde Fertigung. Die vorhandenen Aufträge lasten die Neubaukapazitäten für 1987 „nicht einmal zur Hälfte aus“, klagte Werner Fante, Geschäftsführer des VDS, kürzlich in Duisburg.

Die Einbrüche trafen vor allem die Werften am Rhein und seinen Nebenflüssen. In „Europas größtem Binnenhafen“ in Duisburg sind von den einstmals 13 Werften mit 1.900 Beschäftigten nur noch neun mit knapp 500 Arbeitsplätzen geblieben. 1983 gab die mit 400 Beschäftigten größte deutsche Binnenwerft, die Rheinwerft in Walsum (eine Tochter des GHH- Konzerns) auf, im Sommer 1987 zog sich der Krupp-Konzern mit dem Verkauf der Ruhrorter Werft ganz aus dem Schiffbau zurück.Eine Ursache der Schiffbaukatastrophe sind riesige Überkapazitäten auf dem Rhein, die gewaltig auf die Frachten drücken. Seit 1978 stützt das Nachbarland Holland den Bau von Binnenschiffen mit bis zu 18prozentigen Investitionsbeihilfen. Dazu kommen noch staatliche Bürgschaften für Kredite; die Branche weiß auch von weiteren versteckten Subventionen, kann es aber nicht beweisen. Während die Bundesregierung in Bonn jedoch auf der einen Seite den in Brüssel festgesetzten Subventionshöchstgrenzen für Seeschiffe auf nunmehr 28 Prozent des Schiffspreises zustimmt (zuzüglich der direkten Werfthilfen können die Staaten bis zu 38,9 Prozent zuschießen), gehen die eigenen Werften fast leer aus. Aus der kürzlich beschlossenen Finanzspritze für die Seewerften – Neubauten werden bis 1990 mit 20 statt bis 12,5 Prozent gefördert – erhalten die Binnenschiffswerften keinen Pfennig, obwohl sie zehn Prozent der deutschen Werftarbeitsplätze stellen.

So ging der Arminius-Werft im Frühjahr 1987 ein lukrativer Auftrag durch die Lappen, obwohl sie mit 6,9 Millionen für zwei Motorgüterschiffe unter 24 Anbietern die günstige Kalkulation vorlegte: zwei holländische Werften boten im letzten Moment 500.000 Mark pro Schiff günstiger und schnappten den Bodenwerderern den Auftrag vor der Nase weg. Als darauf im Vorstand der Stinnes AG laut über die Schließung der Werft nachgedacht wurde, alarmierte der Betriebsratsvorsitzende die örtlichen Landes- und Bundespolitiker Willi Waike und Brigitte Traupe von der SPD. Der Wind wehte in Form von Appellen und Telegrammen bis in die Chefetage der VEBA und verhinderte damals entsprechende Beschlüsse. Nach einem Besuch auf der Werft drängte die Bundestagsabgeordnete Traupe das Wirtschaftsministerium in Bonn, „endlich zu einem Werftenkonzept zu kommen“. Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Ludolf von Wartenberg (CDU), stellte sich jedoch taub. Die „6. EG-Schiffbaubeihilfenrichtlinie“, schrieb er am 5. August dem Geschäftsführer der Werft, lasse „keine Möglichkeit“ zu, die Binnenwerften „durch gezielte Beihilfen zu fördern“. Wartenberg empfahl, um in den Genuß von Fördergeldern zu kommen, doch „seegängige Schiffe“ zu bauen.

Der niedersächsische Wirtschaftsminister beschied den vielfältigen Abordnungen aus der Geschäftsführung, dem Betriebsrat sowie Kommunalvertretern, ein weiterer Kapazitätsabbau sei unerläßlich. „Da kommt keine Hilfe, weder vom Bund noch vom Land“, sagt resigniert Hubert Windheuser, „wenn die Werft schließt, steigt die Arbeitslosenquote auf 30 Prozent.“Durch die Schließung des Holzwerkes Müller und der für 1989 geplanten Abwanderung der Firma Rigips nach Gelsenkirchen wird das 6.000-Einwohner-Städtchen etwa 700 Arbeitsplätze verlieren – alle industriellen Arbeitsplätze wären weg. In der Zahl steckt Symbolik. In diesem Jahr feierte die Münchhausenstadt ihr 700jähriges Bestehen. Als der DGB im Juni die Festwochen mit der Veranstaltung „Bodenwerder muß leben“ störte, reagierten die Geschäftsleute der Werbegemeinschaft noch empört. Sie werden freilich den zu erwartenden Kaufkraftschwund von etwa acht Millionen im Jahr am kräftigsten spüren.

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