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Warten auf die Werkssirene

Schalke 04 – Werder Bremen 1:1 / Helmut Schulte guckt zwar belämmert aus der Buttermilchtüte, wird aber vorerst nicht gefeuert  ■ Aus Gelsenkirchen Markus Götting

Preisfrage: Worin liegt der entscheidende Unterschied zwischen der Schalker Fußball-Philosophie und der des Sepp Herberger? Erraten: in der Spielzeit. Wächst in Deutschland nahezu jedes zweite Kind mit dieser durchdringenden Neunzigminutenweisheit auf, bis nach Gelsenkirchen hat sie sich offenbar noch nicht herumgesprochen. Oder beenden die Ruhrpottkicker ihre Samstagsschicht etwa generell fünf Minuten vor dem Dröhnen der Werkssirene?

Die Münchner Bayern hatten im Pokal gleich zweimal kurz vor Schluß einen Rückstand egalisiert – und dann gewonnen. Gottlob, so schusselig waren die Königsblauen diesmal nicht: Es reichte noch zum 1:1. Partybremse Bernd Hobsch senkte mit seinem Tor nach Vorlage von Dieter Eilts und Einladung von Abwehrspieler Hendrik Herzog die beinahe euphorische Stimmung im Parkstadion auf den Gefrierpunkt. Hatte da nicht eben jemand etwas vom zweiten Saison- Heimsieg gefaselt?

Trainer Helmut Schulte schaute nach dem Spiel entsprechend belämmert aus dem Buttermilchbecher des Sponsoren: „Wir hätten das Spiel gewinnen müssen, doch dann gab's wieder so ein höchst überflüssiges Gegentor. Es tut mir leid für die Spieler“, balsamierte er die Wunden seiner Mannschaft. Was in ihm nach dem Ausgleichstreffer vorgegangen sei, wollte ein spitzfindiger Journalist wissen – Schulte: „Daß es ziemlich schwierig wird, zu gewinnen. Das hat sich dann auch bewahrheitet.“

Der Minuskulisse von knapp 25.000 ZuschauerInnen – selbst die Nordkurve, wo sonst die Unentwegten versammelt sind, war diesmal nur zu zwei Dritteln besetzt – wird das Unentschieden wohl noch schwerer im Magen gelegen haben als die fettigen Bratwürstchen aus den stadioneigenen Frittenbuden. Da hatten die Schalker nun so viele Chancen, und außer Jürgen Luginger per Kopf (75.) trafen sie einfach nicht das Tor. Wie etwa Youri Mulder, der gar aus vier Metern verstolperte und subito vom Trainer zum Duschen geschickt wurde. „Ich bin zum Ball hingerutscht, ich dachte, der geht rein“, rätselte der Niederländer anschließend mit gerunzelter Stirn.

Der Jiri Nemec war da schon eher ein Mann von Schultes Gusto: Der Mittelfeld-Workaholic, äußerlich Typ Manta-Fahrer, begeisterte mit seinem aggressiven Spiel die Zuschauer. Blutrünstige Beingrätsche hinten, Lunge aus dem Hals rennen vorne, dazwischen Spielübersicht und sehenswerte Steilpässe – so muß es sein! Schließlich ist Fußball auf Schalke immer Klassenkampf, gegen Hanseaten sogar historisch begründet.

Und was brachten die Nordlichter zustande? Es schien, als seien die Balltreter von der Weser zu einem Betriebsausflug nach Gelsenkirchen-Buer aufgebrochen. Austria-Bub Andi Herzog („I bin halt koa Kopfball-Ungeheuer wia der Hrubsch“) trabte gemütlich über den Rasen, Wynton Rufer und Bernd Hobsch versteckten sich in der Schalker Deckung, wobei letzterer zumindest in den Schlußminuten seine Nationalmannschaftsreife dokumentierte. „Sicherlich hat der Kollege damit gerechnet, daß wir nach dem Spiel am Mittwoch ein bißchen müde sind“, lächelte der aus der Fernsehwerbung bekannte Küchenberater Otto Rehagel entschuldigend. Das aber soll er mal einem der vielen Malocher auf der Tribüne erklären.

Werder Bremen: Reck - Bratseth - Borowka, Beiersdorfer (83. Bockenfeld) - Schaaf, Votava, Herzog, Eilts, Bode (77. Basler) - Hobsch, Rufer

Zuschauer: 24.830

Tore: 1:0 Luginger (75.), 1:1 Hobsch (86.)

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