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Warten auf Godot

Die Frankfurter „Wiedervereinigungs„-Gegner sind kein Aktivposten  ■ K O M M E N T A R E

Marlene Dietrich, die im Jahre 1932 nach Hollywood übersiedelte und im Krieg vor amerikanischen Soldaten in Frankreich, Italien und Nordafrika im Fronttheater sang, rief als Zeitzeugin von Tausenden Plakaten zur Frankfurter Demonstration gegen Nationalismus und die „Annexion der DDR“ auf: „Nie wieder Deutschland!“

Angesichts einer historischen Situation am Ende des 20. Jahrhunderts versammelte sich die radikale Linke der Bundesrepublik - nebst Verstärkung durch FDJ und PDS - in der Bankenmetropole des westdeutschen Kapitalismus, um sich im Rückgriff auf die Geschichte zu Beginn des Jahrhunderts ihrer weiteren Existenz zu versichern. Auf all den Transparenten und Flugblättern, in den Parolen und Reden ging es nicht um die DDR oder gar deren Bevölkerung, die bis zum 9. November 1989 den bundesdeutschen Linksradikalen herzlich gleichgültig war. Es ging um die „linke Identität“, um die Rettung der falschen Geschichtsabstraktionen vor der schlechten Wirklichkeit. Daß „das westdeutsche Kapital, sein Staat und seine Parteien alles taten, um die DDR-Bevölkerung für den Anschluß heim ins kapitalistisch-imperialistische Reich reifzuschießen“, wie es in einem Flugblatt hieß, gilt vielen „radikalen Linken“ als ausgemachte Sache. Daß solche semantischen Beschwörungsriten jedoch mehr sind als die anachronistische Politfolklore eines letzten Aufgebots, zeigten nicht nur Teilnehmerzahl und Vielfalt der Großdemonstration.

Die Rhetorik des Protests gegen die „Wiedervereinigung“ war durchgängig selbst vom Wiederholungszwang geprägt. Sie läßt nichts Neues gelten und blickt in die Zukunft wie das Orakel von Delphi. Das zeitlose und stets wohlfeile Horrorgemälde von einem imperialistisch-rassistischen Polizeitstaat Großdeutschland erlaubt keine Denkpause linker Selbstkritik, sondern fordert geradezu auf, sich gegen den alten und neuen Feind einzugraben, wozu man sich unverdrossen des Müllhaufens der Geschichte bedient. Statt bislang verdrängte und neue Realitäten erst einmal wahrzunehmen, die historische Krise aller Linken radikal zu diskutieren, treten allzuviele die Flucht in eine „harmonische“ Vergangenheit an, in der das Grundgesetz noch „ein reaktionäres Machwerk“ war, wie ein Buchtitel stolz posaunt. Helmut Kohls Modelleisenbahn wird nicht durch linksradikale Bahnhofsvorsteher aufgehalten, die seit zwanzig Jahren auf dem selben Gleis die Stunde X erwarten.

Reinhard Mohr, Frankfurt am Main.

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