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„Wann werden sie kommen?“

Um vier Uhr werden in der Küche noch Kartoffeln fürs Abendessen geschält. Es ist ruhig am Dienstag nachmittag. Um siebzehn Uhr verkündet der Bürgermeister dann sein letztes Ultimatum. Zur selben Zeit bilden sich Grüppchen vor den Häusern. Bewegung kommt auf. Eine Stereoanlage wird herausgetragen und in einem am Bordstein geparkten Auto verstaut. Die Nachricht des Tages überrascht hier niemanden. Hinter verschlossenen Türen tagt das Plenum der Bewohner. Kurz vor sechs liest ein Sprecher seine Erklärung vor. Sie ist knapp, ohne politische Schnörkel und eindeutig: Ein weiteres Zugeständnis sei nicht möglich. Journalisten notieren es. Der Schlüsselsatz lautet: „Sie wollen eine militärische Konfrontation, wir werden kämpfen.“ Um sechs Uhr ist das Versamm lungszelt überfüllt. Parkas, warme Pullover und Lockenköpfe signalisieren alternative und linke Sympathisanten. „Was nun, was macht die Hafenstraße jetzt?“, lauten die Fragen. Solidarität scheint Pflicht. Alle wollen offenbar irgendetwas tun oder sagen. Aber nur selten melden sich Bewohner der umkämpften Häuser zu Wort. Ihre eigene Versammlung im Haus ist nicht öffentlich. Im Sympathisantenzelt fragt niemand danach. Die Gesichter sind ernst, man versteht plötzlich, daß nicht alles offen gesagt werden kann. Lange Zeit war das für viele Unterstützergruppen ein Problem, nun wird akzeptiert, daß sich die Hafenstraße auf ihren inneren Kreis zurückzieht. Immer wieder: „Die Hafenstraße“. Ihre politische Erklärung liegt fest, daran kann hier nicht mehr ernsthaft gerüttelt werden. Eine Abgeordnete der GAL–Frauenliste im Rathaus versucht es doch, möchte noch Spielraum ausloten. Sie darf ausreden und fragen, ob nicht doch weitere Befestigungen geräumt werden können. Die gereizte Stimmung früherer Diskussionen ist verflogen, aber der Vorschlag weiterer Zugeständnisse wird gar nicht erst diskutiert. Mit dem Ultimatum des Senats hat sich die Frage erledigt. Davon sind alle überzeugt, die hierher gekommen waren. Der Senat ist kein Thema mehr, geredet wird nur noch über die Polizei, über die Räumung, über die Befestigung der Häuser. Es gibt wenig zu sagen, die Debatte dauert dennoch Stunden. Vorschläge werden angehört und meist in aller Ruhe verworfen. Darunter auch der einer nächtlichen Demonstration durchs Vergnügungsviertel von St. Pauli. Nein, dazu sind die meisten zu müde. Als sich das Zelt schon zu leeren beginnt, meldet sich noch einmal jemand zu Wort: „Mir ist das mit der Räumung noch nicht ganz klar.“ Weitere Fragen sind blockiert. Wieder und wieder versucht jemand zu antworten. „Die Bullen kommen nicht morgen“, sagt einer. Aber was, wenn sie doch kommen? Nichts bewegt sich mehr, die Gedanken laufen immer auf den einen Punkt zu: Wieviele sind wir, wann kommen sie? Niemand vermag zu lachen. Ab und zu umarmt sich ein Pärchen. Vor dem Zelt stehen immer noch Grüppchen, manche in schwerer Ledermontur. Sie sehen vollkommen ungefährlich aus. Die Häuser sind ruhig, umheimlich ruhig diese Nacht. Niklaus Hablützel

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