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Wann fahren Betonmischer durch den Verlag Gallimard?

Erbfolgekämpfe in Frankreichs legendärem Verlagshaus / EnkelInnen prügeln sich um Macht und Aktien / Amüsantes Familiendrama inmitten der Medienkonzentration  ■  Aus Paris Alexander Smoltczyk

80 Jahre lang ist es dem Verlagshaus Gallimard gelungen, zweitklassigen Kolportageromanen aus dem Weg zu gehen. Proust, Sartre, Foucault - die besten Federn Frankreichs schrieben für Gallimard. Die Lektoren aus der Rue Sebastien -Bottin, das war bekannt, spürten den Weltgeist schon als Pennäler auf und nahmen ihn unter Vertrag. Doch jetzt hat die profane Wirklichkeit den Verlag eingeholt - hinterrücks, wie es in der Geschichte üblich ist: wie in einem Dallas -Plot prügeln sich die Enkel des großen Gaston Gallimard um die Pfründen. Gekämpft wird ohne Bandagen, denn es geht um Geld, Eifersucht, Kränkung und Ehre.

Vor 15 Jahren starb der Patriarch Gaston, dessen Devise immer gewesen war: „Qualitätsliteratur - keine schnellen Kommerzgewinne ohne Zukunft.“ Sein Sohn und Thronfolger Claude (drei andere Söhne waren auf teilweise tragische Weise ums Leben gekommen, der vierte, Robert, wurde mit einem Bücherpaket abgefunden und ist heute Chef des Nobel -Verlags „La Pleiade“) mußte ihm am Sterbebett versprechen, diese Maxime einzuhalten für immerdar. Und also geschah dies auch.

Claude wurden drei Kinder geschenkt, darunter zwei Söhne, Antoine und Christian, die dann beide Anspruch auf seine Nachfolge als Verlagsleiter anmeldeten. Christian, als der älteste Sohn, galt lange Zeit als Favorit, bis er 1984 unter dem Druck der Verlagsfürsten aus dem Haus gejagt wurde und seither in der Schweiz auf Rache sinnt. Währenddessen, Vater Claude lag schwerkrank im Bett, gelang es dem schüchternen, aber durchaus cleveren Antoine, seinem darbenden Vater heimlich und zu einem lächerlichen Preis 13,5 Prozent des Verlagskapitals abzukaufen. Den anderen drei Geschwistern blieben nur je 12,5 Prozent.

Die Bombe platzte, als der listige Antoine Anfang März gemeinsam mit anderen Anteilseignern eine „Sopared“ genannte Interessengemeinschaft bildete, die 50,5 Prozent der Anteile besaß und damit die Mehrheit im Aufsichtsrat bildete. Vater Claude (immer noch schwerkrank, aber Besitzer von zwölf Prozent der Anteile) und die drei Geschwister Christian, Isabelle und Fran?oise waren plötzlich in der Minderheit und sahen sich vom Bruder ausgebootet.

Fran?oise war das egal - sie ist längst mit dem Grafen Montaigu verheiratet und möchte ihr Aktienpaket meistbietend loswerden, um sich ihr aufweniges Gräfinnendasein zu finanzieren. Auf 1,8 Milliarden Franc, knapp 600 Millionen DM, wurde der Wert des Verlags geschätzt. Die Familienmitglieder haben Vorzugsrechte beim Aktienkauf, doch keiner kann die 220 Millionen Franc für Fran?oise aufbringen. Also klopfen die kulturlosen, aber reichbemittelten Finanziers an die Tür von Gallimard: Robert Maxwell, Berlusconi und - natürlich - De Benedetti, allesamt damit beschäftigt, internationale Medientrusts aufzubauen. Auch der Welt größter Bauunternehmer Bouyges, der nebenbei einen französischen Fernsehsender besitzt, bot sich Fran?oise und allen anderen Geschwistern als Käufer an. Nach den Übernahmekämpfen der letzten Jahre kommt jedes zweite Buch in Frankreich heute entweder aus den Häusern Hachette/Matra oder Groupe de la Cite. Um Gallimard - so sein Kalkül - könnte von einem geschickten Finanzier ein dritter Pol aufgebaut werden.

Bouyges gab allerdings zu verstehen, daß er noch besser zahlen würde, wenn die lästige Sopared aus der Welt geschafft wäre. Fran?oise verstand und klagte gegen Antoine: Ihr Bruder habe sich sein Aktienpaket erschlichen und dürfe es nicht in die Sopared einbringen. Christian, immer noch zutiefst gekränkt, schloß sich ihr an. Das Gericht beschloß daraufhin, die Gründung der Sopared zu untersagen, ein Urteil über die Rechtmäßigkeit des Vater-Sohn-Geschäfts am Krankenbett hat es jedoch an höhere Instanzen verwiesen.

Freie Bahn also für Bouyges und Benedetti? Ein Betonmischer im Aufsichtsrat von Gallimard? Unmöglich. Sechzig AutorInnen, darunter Marguerite Duras, Milan Kundera, Philippe Sollers und Maurice Blanchot, drohten in einem gemeinsamen Appell mit der kollektiven Kündigung, falls ein Fremdfinanzier die Unabhängigkeit des Hauses gefährden sollte. Sollers zieht den Bogen zum Abendland: „Die Gallimard-Affäre ist eine Episode jener langen planetarischen Entwicklung, die, gespeist von einem galoppierenden Analphabetismus, das Buch zu einer Ware herabstufen möchte und eine neue Tyrannei vorbereitet. Uns bleiben zwei Jahre Zeit, um der Öffentlichkeit klarzumachen, daß man es auf ihre Phantasie abgesehen hat.“ Die Autoren sehen in Antoines Sopared-Konstruktion die letzte Bastion, Gallimard vor dem Schicksal eines x-beliebigen Multimediakonzerns zu retten.

Am vergangenen Freitag nun kam Hoffnung auf: Isabelle, die Schweigsame, hatte gesprochen. Sie sehe sich außerstande, den Familienstreit zu schlichten und werde ihre 12,5 Prozent bis auf einen kleinen Rest an die Banque Nationale de Paris (BNP) verkaufen. Aufatmen im Elfenbeinturm - denn die staatseigene BNP gilt als resistenter gegenüber dem Werben der Maxwells, Berlusconis und Bouyges‘. Antoine hat Zeit gewonnen und kann sich etwas weniger hektisch nach kulturbeflissenen Partnern umsehen, mit deren Hilfe er die Isabelle-Aktien zurückkaufen kann. Soviel ist sicher: Die Fortsetzung folgt.

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