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„Wanderkessel“ ist rechtswidrig

■ Bremer Verwaltungsgericht verurteilt umfassende Fotoüberwachung einer friedlich verlaufenden Demonstration / Derartige Maßnahmen sind nur zulässig, wenn „unmittelbare Gefahr“ bestehe

Bremen/Berlin (taz) - Für das Bremer Verwaltungsgericht ist die umfassende Foto- und Videoüberwachung, die als „Wanderkessel“ bezeichnete Begleitung, einer friedlich verlaufenden Demonstration in Bremen durch Polizeibeamte im Jahr 1985 rechtswidrig. Das geht aus einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil hervor. (AZ: 4 A 226/86). Den Demonstrierenden gegen die amerikanischen Munitionstransporte von Nordenham nach Süddeutschland waren Zivilbeamte des Sondereinsatzkommandos sowie Polizeibeamte gefolgt, die mit Kampfanzug, Helm und Schlagstock ausgerüstet waren. Außerdem wurde der Zug mit Videokameras von einem vorausfahrenden Polizeifahrzeug aus durchgängig gefilmt. Zusätzlich fertigten die Beamten Fotos von Einzelpersonen und Gruppen an. Nach Polizeiangaben wurde das Bildmaterial anschließend vernichtet.

Laut Gericht sind diese Maßnahmen nur dann zulässig, wenn eine „unmittelbare Gefahr“ für die öffentliche Sicherheit vorliegt. Die Richter gehen davon aus, daß die angewandte Videotechnik ermögliche, über Rastervergrößerungen zur Identifizierung Einzelner geeignete Bilder herzustellen. Exzessive Observationen und Registrierungen sind besonders geeignet, den staatsfernen Charakter von Versammlungen zu beeinträchtigen, stellte das Gericht fest. Sie könnten den für die rechtsstaatliche Demokratie und Volkssouveränität „lebenswichtigen Prozeß öffentlicher Willensbildung“ staatlich in bestimmter Weise vorprägen, wenn nicht sogar steuern, indem die Selbstdarstellung von Minderheiten behindert werde.

Eine im wesentlichen schrankenlose Observierung und Registrierung von Demonstranten sei auch mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar, da sie unter anderem gegen das Verbot der „Datensammlung auf Vorrat“ verstoße. Grundsätzlich solle wegen unfriedlichen Verhaltens einzelner Versammlungsteilnehmer nicht eine ganze Versammlung als unfriedlich behandelt werden. Ebenfalls aus verfassungsrechtlichen Gründen sei „die Einschließung“ einer Versammlung durch „dichte Polizeireihen“ nicht zulässig. Nach Ansicht der beiden Kläger hatte der Demonstrationszug den „Charakter eines Gefangenentransportes“. Die Richter stellten einen „rechtswidrigen Eingriff“ in die Rechte der beiden klagenden Demonstranten fest und gaben ihnen völlig recht. Das Urteil hat grundsätzlichen Charakter und könnte, so die Kläger, bei der Novellierung von Polizeigesetzen bundesweit Bedeutung erlangen. In dem Urteil wird festgestellt, daß der Artikel 30 des seit 1985 geltenden Bremer Polizeigesetzes nichtig ist. Danach hat die Polizei das Recht, auf öffentlichen Versammlungen personenbezogene Daten zu erheben. Die Richter sehen damit ein Grundrecht verletzt, was schon aus formalen Gründen rechtswidrig sei. In der Verhandlung hatte der Vertreter des Innenressorts, Wilkens, behauptet, die Videoaufnahmen von Einzelpersonen seien als präventive, „erkennungsdienstliche Behandlung“ gerechtfertigt, was bedeuten würde, daß Demonstrationsfotos in der Verbrecherkartei der Polizei landen könnten. Wenn Demonstrationsteilnehmer mit einer Registrierung rechnen müßten, dann liege darin schon eine Einschränkung des Demonstrationsrechtes, argumentierten die Richter. Das Versammlungsrecht sei eine „staatsfrei konstituierte Öffentlichkeit“, aus der sich die Polizei solange herauszuhalten habe, wie keine unmittelbare Gefahr davon ausginge.

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