: Wandel eines Industriemolochs
Das in die Krise gekommene Industrierevier Bilbao soll in eine High-Tech-Zone mit viel Lebensqualität verwandelt werden ■ Aus Bilbao Reiner Wandler
Bilbao im Norden der Iberischen Halbinsel ist bekannt als dreckiges, heruntergekommenes Industriezentrum. Doch das soll nun bald Geschichte sein. Die durch die Krise der europäischen Montan- und Werftindustrie im Zentrum der Stadt entstandenen Brachflächen dienen als Grundstock für ein ehrgeiziges Projekt. Unter dem Namen „Ria 2000“ (Flußmündung 2000) soll der 15 Kilometer lange Lauf des Nervión von der Baskenmetropole bis zur Küste, ein Ballungsgebiet mit mehr als einer Million Einwohner, umstrukturiert werden. Das Ziel: eine moderne Region mit zukunftsträchtiger High-Tech-Industrie zu schaffen.
Als Herzstück dient die Fläche der Euskalduna, einst Spaniens größte Werft. Mitten im Zentrum gelegen, wird sie einem Kongreßzentrum sowie dem Guggenheim- Museum Platz bieten. Der Rest: Luxuswohnungen und vor allem viel Grünflächen.
Durch die Verlagerung sämtlicher Entladestellen aus dem Stadtgebiet in den neu entstehenden Hafen direkt an der Küste wird der Flußlauf entlastet. Später soll er völlig für den kommerziellen Schiffsverkehr geschlossen werden. Der Bau von acht neuen Brücken im Zentrum von Bilbao wird so möglich. Die beiden Ufer des Nervión werden damit erstmals in der 700jährigen Geschichte der Stadt zu einem einzigen Stadtgebiet verwoben. Eine urbane Landschaft, eingebettet in viel Grün – zehnmal so viele Parkflächen wie bisher sind das Ziel – und Wasser verheißen die Werbeprospekte, mit denen internationale Firmen in die Bankenstadt gelockt werden sollen. Softwarefirmen und Unternehmen aus dem Umweltschutzsektor würde man gerne ansiedeln.
Erstmals sei man in der Lage, die beiden Ziele einer jeden Stadtverwaltung unter einen Hut zu bringen: Ein hohes Pro-Kopf-Einkommen und hohe Lebensqualität, hofft zumindest Ibon Areso Mendiguren, stellvertretender Bürgermeister und Städteplaner von der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV). „Mit der Schwerindustrie schloß das eine immer das andere aus. Mit einer Wirtschaft, die auf Dienstleistungen setzt, ist dies wesentlich einfacher.“ Dazu gehöre auch ein modernes Nahverkehrssystem. Bereits im Sommer diesen Jahres wird Bilbao die erste U-Bahn Linie einweihen. Sie führt vom Zentrum der Stadt am rechten Ufer des Nervión entlang bis hinaus an die Küste nach Plentzia, des Bilbainers liebstem Badeort.
Die Krise positiv wenden
Wenn schon, denn schon, haben sich die Planer von „Ria 2000“ gedacht und die Projekte zum internationalen Wettbewerb ausgeschrieben. Die Liste der preisgekrönten Architekten kann sich sehen lassen. Frank 0. Ghery gestaltete das Guggenheim Museum, Cesar Pelli das Kongreßzentrum, Norman Foster entwarf die U- Bahn-Stationen, James Stirling den neuen Hauptbahnhof, Santiago Calatrava die neuen Flughafengebäude und Michael Wilford eines der zentralen Bürohochhäuser.
Der Plan entstand aus der Not. „Die Krise der Montan- und Werftindustrie, von der die Stadt und Hafen lebten, ist keine konjunkturelle Krise, sondern eine strukturelle“, erklärt Areso. 35 Prozent Arbeitslosigkeit in der Altstadt, eine der höchsten Europas, ist eine der Folgen. „Bilbao tritt in die postindustrielle Etappe ein“, erklärt der Städteplaner. „Ria 2000“ soll helfen, wieder dahinzugelangen, wo man einst war: An die wirtschaftliche Spitze aller spanischen Regionen. Zur Ausführung der Arbeiten wurde eigens eine Aktiengesellschaft gegründet. Anteilseigner sind die Stadt, die baskische Regionalregierung, Madrid und die staatliche Industrieholding INI, die Eisenbahngesellschaft RENFE, die beiden größten Grundstückseigentümer am Flußlauf.
Finanziert wird das Ganze zum einem durch öffentliche Gelder. Eine halbe Milliarde Mark wird auf die Staatskassen für die Investitionen in den öffentlichen Verkehr zukommen. Die Hafenverlegung soll sich aus den erhobenen Liegegebühren selbst finanzieren. Der Rest der Gelder soll aus Grundstücksverkäufen und Wohnungsverkäufen kommen. Vor allem das Gelände direkt am Hafenrand wird einmal fertiggestellt zu den teuersten Wohngegenden der Stadt zählen. Ibon Areso setzt bei der Finanzierung zudem auf Geldsegen aus Brüssel. Für die Umgestaltung des Geländes des ehemaligen Stahlwerkes Altos Hornos de Vizcaya fließen erstmals 17 Millionen Mark aus den EU-Töpfen.
Im Vergleich mit den englischen Vorbildern wie Glasgow und Manchester sind die Basken spät dran. Noch 20 Jahre werden ins Land gehen, bis das neue Bilbao steht. „Doch dann wird die Stadt nicht wiederzuerkennen sein“, prophezeit Areso zufrieden. Skeptiker allerdings erinnern an die Weltausstellung „Expo 92“ in Sevilla: Dort sind außer an den Gerichten, die sich bis heute mit großen und kleinen Korruptionsfällen beschäftigen, kaum dauerhafte Arbeitsplätze entstanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen