: Waigels Schuldenloch wird immer tiefer
■ Da der Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit um 10 Milliarden Mark erhöht werden muß, erreicht die Neuverschuldung eine Rekordhöhe / SPD fordert Nachtragshaushalt
Bonn (dpa) – Die mit der Arbeitslosigkeit auf deutlich über 70 Milliarden Mark explodierenden Schulden im Bundesetat 1993 haben jetzt zu einer Kontroverse über das Haushaltsverfahren geführt. Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Helmut Wieczorek forderte gestern von Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) die sofortige Vorlage eines zweiten Nachtragshaushalts zur Mitbestimmung des Parlaments. Das wies Waigel-Sprecher Christian Kastrop zurück.
Nachdem bekanntgeworden war, daß der Bonner Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitslosenhilfe zusammen kurzfristig um zehn Milliarden Mark aufgestockt werden müsse, erwarten Finanzexperten der Koalition, daß die Neuverschuldung des Bundes im laufenden Bundesetat von geplanten 68 Milliarden Mark eher auf eine Größenordnung von 75 bis 78 Milliarden Mark klettern wird. Selbst das wäre ein neuer Rekord in der Verschuldung des Bundes. Wieczorek sprach dagegen von nahe 80 Milliarden Mark neuen Schulden, wobei Waigel nach geschönten Rechnungen „nur scheibchenweise“ mit der Wahrheit herausgekommen und die Schuldentreppe hinaufgestolpert sei: von zunächst 38 Milliarden bis zur jetzigen „Hiobsbotschaft“.
Die Bundesanstalt hatte Anfang der Woche mitgeteilt, daß sich für das letzte Quartal ein zusätzliches Nürnberger Defizit von neun Milliarden Mark ergeben wird. Der zur Deckung fällige Bundeszuschuß, der im ersten Nachtrag des Bundeshaushalts 1993 bereits auf 18 Milliarden Mark angehoben worden war, erhöhe sich damit weiter auf 27 Milliarden Mark.
Für 1994 hat der Präsident der Bundesanstalt, Bernhard Jagoda, am Mittwoch abend im Arbeits- und Sozialausschuß des Bundestages für den Entwurf des Nürnberger Etats die folgenden Planzahlen genannt: 107,2 Milliarden Mark Ausgaben, 86 Milliarden Einnahme, eine Rücklage von 8,1 Millionen und einen Bundeszuschuß von 21,22 Milliarden Mark. Dabei habe Jagoda noch nicht die Bonner Sparoperation mit Entlastungen der Bundesanstalt im Umfang von etwa zehn Milliarden Mark berücksichtigt, korrigierte SPD-Experte Karl Diller. Damit gehe Jagoda für 1994 offiziell weiterhin von den auch im Bundeshaushaltsentwurf angesetzten elf Milliarden Mark Zuschüssen aus Bonn aus. Der Präsident habe aber kürzlich nicht dem SPD-Hinweis widersprochen, daß auch 1994 die Arbeitslosigkeit einen deutlich über elf Milliarden Mark liegenden Zuschuß des Bundes verlange.
Nach Angaben Jagodas orientierten sich die Daten am Planungsstand August 1993. Die in Kürze fälligen Prognosen über künftige Entwicklungen seien noch nicht enthalten.
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