: Wahrnehmungsform Auto
■ Multimedia-Performance oder Video-Installation, Theaterstück oder Konzert? Gespräch mit Jan Dvorak über sein Projekt roadmovie auf Kampnagel
Er kommt von der Neuen Musik, aber der Hamburger Komponist Jan Dvorak widmete sich wiederholt auch übergreifenden Konzepten: In inszenierten Konzerten montierte und collagierte er Text und Musik in unüblicher Weise und arbeitete wiederholt an Bühneninszenierungen und Installationen mit. Am Mittwoch hat sein neues Projekt Premiere: In Zusammenarbeit mit der Fotografin und Filmemacherin Eske Schlüters und der Autorin Sigrid Behrens sowie dem renommierten Ensemble für improvisierte Musik TonArt entstand mit roadmovie ein zwittrig-mehrdimensionales Installationsobjekt, das Film und Musik, Text und Lichtgestaltung vereint. taz hamburg sprach mit Jan Dvorak.
Jan Dvorak: Inhaltlich ist die Sache aus bestimmten Alltagserfahrungen entsprungen, Erinnerungen an die Kindheit. Wo ich den Kopf an die Autotür gepresst und mir eingebildet habe, Musik und Stimmen und alles Mögliche zu hören. Das heißt, Autofahren als eine Wahrnehmungsform zu begreifen. Man kann es ja als Mittel zum Zweck sehen oder als ökologisches Problem oder was auch immer. Aber es ist in jedem Fall ein fester Teil unserer Welterfahrung geworden. Das zu gestalten, war das gemeinsame Interesse bei den Beteiligten.
taz hamburg: Inwieweit spielt das Roadmovie als Untergenre des Spielfilms da eine Rolle?
Der Film, den Eske Schlüters gemacht hat, ist ja in einer Szene gedreht. Wir haben vier Kameras in einem Auto aufgebockt, so dass sie in alle vier Richtungen gleichzeitig filmen. Dann ist – relativ mühselig – die Strecke herausgefunden worden, die einer bestimmten Dramaturgie folgt. Nun passiert aber die meiste Strecke über ja nichts, das sind ganz normale Bilder. Aber dadurch, dass man diese Roadmovie-Seherfahrung – oder überhaupt: Autoszenen in allen Filmen – hat, werden die Bilder uminterpretiert. Insofern spielt der Film mit den Seh-Klischees, die sich verselbständigt haben. Gleichzeitig, als zweiter Aspekt, ist ja die Verbindung von Film und Musik sowieso sehr stark, und wenn im Film Fahrten gezeigt werden, gibt es immer besonders viel Musik. Das wird hier aufgenommen und neu interpretiert: Außer dieser Fahrt gibt es ja nichts mehr, und die Musik nimmt einen ganz entscheidenden Handlungsteil ein. Ein inhaltlicher Strang ist die Flucht aus der Zivilisation, die man nur mit ihren Mitteln zustande bringt. Diese Flucht aus der Stadt scheitert sozusagen daran, dass wir die Stadt mitnehmen. Der andere Strang ist, und das hat vielleicht mit innerer Reise zu tun, dass über die Autofahrt ganz viele Situationen miteinander verbunden sind. Sie ist ja immer gleich, ob du zur Beerdigung deiner Großmutter fährst, in den Urlaub oder weißichwohin. Eine überzeitliche Verbindung zwischen ganz unterschiedlichen Situationen. Das haben wir aufgenommen über den Text, den Sigrid Behrens geschrieben hat, der einerseits eine Collage ist aus echten Autogesprächen, die vom Band kommen; dann überlagert wird von einem Monolog, der sich an eine ganz andere Autofahrt erinnert. Über diesen entrückten Zustand, dieses schläfrige freie Assoziieren.
Sind die drei Komponenten gleichzeitig entstanden?
Den Film haben wir als erstes hergestellt, aber das hatte technische Gründe. Die Teile sind im Wesentlichen unabhängig voneinander entstanden, gleichzeitig in gemeinsamer Absprache.
Was ist es für eine Musik?
Wieder ausgehend von der Grunderfahrung des freien Abschweifens, der träumerischen Situation, habe ich mich entschlossen, mit Improvisationsmusikern zusammenzuarbeiten: das TonArt Ensemble, größtenteils Jazzmusiker. Ich habe mehr oder weniger eine Improvisationspartitur entwickelt, und die Probenarbeit wird etwas von einer Theaterinszenierung haben: Ich lasse mir etwas anbieten, gebe das wieder zurück, mache Aufnahmen, spiele Stellen vor. Ein ganz anderes Arbeiten, als ich das normalerweise mache, wenn ich mit klassischen Musikern arbeite. Es wird auch da eine Art Mittelding zwischen Auskomponiertem und spontaner Erfindung sein.
Interview: Alexander Diehl
Premiere: Mittwoch, weitere Vorstellungen: 26. + 27.10, 20 Uhr, Kampnagel (k6 Vorhalle)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen