piwik no script img

Wahres Leben frisch aus der Kiste

Reality TV: Eine Diskussion auf dem „Medienforum NRW“ in Köln  ■ Von Reinhard Lüke

Eine Fernsehform im Aufwind: Von pfiffigen Produzenten in den USA 1988 ersonnen und nach phänomenalen Erfolgen bald exportiert, sorgt sie auch in Europa seit Jahren für satte Quoten. Billig auf Action getrimmte Mini-Dramen um Helden des Alltags, die mit dem Gütesiegel daherkommen, auf „wahren Geschichten“ zu beruhen — das ist Reality TV. Wie sehr das Genre boomt, machte bereits der Andrang bei einer vom Grimme-Institut veranstalteten Diskussion im Rahmen des „Medienforums NRW“ deutlich. Eine Diskussion, die wenig ersprießlich war, wo sie dem flotten Etikett Reality-TV aufsaß und sich mit dem alten Realismusproblem herumschlug, anstatt ihr Augenmerk auf die TV-Realität zu richten. Und das, obwohl Roger Willemsen, Moderator des Interview-Magazin 0137 bei Premiere, gleich zu Beginn den Einwand erhob, daß doch letztlich auch jede Herz- und-Schmerz-Serie ex negativo Reality-TV sei, wo sie auf reale Bedürfnisse jener Menschen verweise, die sich das freiwillig antun.

Ausgerechnet Notruf-Chef Hans Meiser, führte hehre Motive für sein erfolgreiches Treiben ins Feld. „Wir kümmern uns um private Schicksale und lassen den kleinen Mann von der Straße zu Wort kommen.“ Da der normale Alltag in seiner Banalität an sich eine wenig unterhaltsame Geschichte ist, kann Otto Normalverbraucher allerdings nur Fernsehstar werden, wenn ihm vielleicht irgendwann einmal ein Elefant auf den Fuß gefallen ist oder er zumindest eine spektakuläre Massenkarambolage halbwegs ansehnlich überlebt hat. Um den Anspruch zu untermauern, das „Leben“ ins Wohnzimmer zu bringen, läuft Notruf auch noch mit dem Untertitel „Wir lassen die Wirklichkeit erzählen“. Womit sich eine Kritik eigentlich erübrigt. Was können schließlich die smarten RTL- Brüder dafür, wenn die Wirklichkeit einen solchen Stuß erzählt? Gegenüber derartigen Eiertänzen zwischen Samaritertum und Quote redete Peter Herdrich, Produzent der US-Serie A Current Affair, Klartext: „Wir verlegen schließlich keine Zeitung oder Bücher, sondern wir machen Fernsehen. Ich finde nicht, daß Unterhaltung etwas Schlechtes ist.“

Fragt sich nur, ob Reality-TV lediglich schlechte Unterhaltung ist oder nachhaltigere Konsequenzen haben könnte. So stellte Medienpsychologe Jo Groebel die Überlegung an, daß durch die enorme Masse an — als „authentisch“ ausgegebener — Action die Relevanz-Relationen der Ereignisse bei Dauerkonsumenten völlig durcheinandergeraten. Die Überflutung mit dramatisierten Privatschicksalen lasse einen realen Krieg vielleicht irgendwann nur noch als vergleichsweise ödes Spektakel erscheinen.

Ungeklärt blieb, warum das Volk sich diesem Schwachsinn mit zunehmender Begeisterung aussetzt, wo doch zumindest die deutschen Ausgaben bisher weit dilettantischer gemacht werden als jede Billig-Vorabendserie. Schlichter Voyeurismus kann's kaum sein. Aber vielleicht funktioniert Reality-TV ja als eine Art risikofreies Erfahrungssurrogat. Wo sich die eigene Existenz im Vergleich zu dem, was uns da an Thrill und Action entgegenflimmert, zunehmend öder ausnimmt — abgesehen davon, daß man vielleicht mal in die Hundescheiße latscht oder den Bus verpaßt —, liefert Reality-TV durch den AuthentizitätssStempel die „Gewißheit“, daß es im „wirklichen Leben“ an sich durchaus ereignisreich, gefährlich und spannend zugeht. Daß dieses „wahre Leben“ aus der Fernsehkiste seinen Siegeszug auch öffentlich-rechtlich fortsetzen wird, steht außer Zweifel.

Der Hinweis von Medienrechtler Johannes Kreile, in Deutschland gebe es schließlich (noch) einen wirksamen Persönlichkeitsschutz und das „Recht am eigenen Bild“, das Vermarktung privater Schicksale Grenzen setze, läuft der Entwicklung hilflos hinterher. Wo sich auch hierzulande längst die Überzeugung breitgemacht hat, daß nicht gelebt hat, wer nicht mindestens einmal im Fernsehen war, dürften die nötigen Einverständniserklärungen nicht das Problem sein. Und wenn dieses inbrünstige „Ja, ich will!“ auch das Letzte ist, was einer auf der Krankenbahre von sich gibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen