Wahlprogramm von CDU und CSU: Nix Genaues weiß man nicht
Im Wahlprogramm der Union bleibt vieles offen – etwa beim Klimaschutz. Wirtschaft und Gutverdienende werden entlastet. Ein taz-Check.
C DU und CSU haben ihr gemeinsames Wahlprogramm für die Bundestagswahlen im September vorgestellt. Was hat sich die Union für Klima, Verkehr, Steuerpolitik und Soziales etwa beim Wohnungsbau vorgenommen? Wie steht sie zur Inneren Sicherheit, zu Migration, zur Außen- und Verteidigungspolitik? Und wie will sie die Digitalisierung vorantreiben?
Und was davon wird die Partei mit dem derzeit wahrscheinlichsten Koalitionspartner, den Grünen, voraussichtlich umsetzen können? Der taz-Check:
Klimaschutz
Beim Klimaschutz bekennen sich CDU und CSU – wie schon zuvor in der Bundesregierung – zum Ziel, Deutschland bis 2045 komplett klimaneutral zu machen. Auf die Frage, wie das gehen soll, geben sie hingegen – ebenfalls wie bisher – wenig konkrete Antworten. Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll „deutlich schneller“ werden, heißt es im Programm. Zahlen werden aber nicht genannt, obwohl die genaue Ausbaumenge eine zentrale Stellgröße ist.
Interessant: Nachdem führende Unionsvertreter zuvor scharfe Kritik an den Grünen geübt hatten, weil diese den CO2-Preis für Wohnen und Verkehr schneller erhöhen wollen als von der Regierung geplant, kündigt die Union das jetzt ebenfalls an – allerdings mit einer Formulierung, die offenbar möglichst schwer verständlich sein soll, um die eigene Klientel möglichst nicht zu beunruhigen: „Wir werden den Aufwuchspfad der CO2-Bepreisung straffen“, heißt es im Programm. Zahlen und Daten fehlen aber auch hier.
Beim Thema Wasserstoff will die Union nicht nur auf sogeannten „grünen“ setzen, der mit erneuerbarem Strom erzeugt wird, sondern auch auf „blauen“, der aus fossilem Erdgas mit CO2-Abscheidung gewonnen wird. Um zu verhindern, dass die heimische Industrie unter den Klimaschutz-Auflagen leidet, setzt die Union auf Differenzverträge, bei denen der Staat die Mehrkosten erstattet, und auf einen „CO2-Grenzausgleich“, also eine Art CO2-Abgabe für Importe.
Klappt das auch? Ja – beim Klimaschutz dürfte es in einer schwarz-grünen Koalition keine unüberwindbaren Hindernisse geben. Über das Ziel besteht Einigkeit, zum Weg schweigt die Union weitgehend. In der Praxis würde das wohl bedeuten, dass über die Maßnahmen weitgehend die Grünen bestimmen könnten, die Union sich das aber durch Zugeständnisse in anderen Bereichen teuer bezahlen lassen wird.
Konflikte zeichnen sich vor allem bei der Frage ab, wie schnell und wie stark der CO2-Preis erhöht wird und wie die Einnahmen an die Bevölkerung zurückgegeben werden. Und auch bei der geplanten staatlichen Unterstützung für den klimafreundlichen Umbau der Industrie dürfte es Streit um die Frage geben, wie diese finanziert werden soll – denn Steuererhöhungen lehnt die Union ja ebenso ab wie neue Schulden. Malte Kreutzfeldt
Verkehr
Das will die Union: Die Union spricht sich strikt gegen ein Tempolimit auf Autobahnen aus. „Ein Dieselfahrverbot lehnen wir ebenso ab wie ein generelles Tempolimit auf Autobahnen“, heißt es im Programm. Die Christdemokrat:innen wollen Bahn und ÖPNV ausbauen, etwa die Digitalisierung der Bahn vorantreiben und Nachtzüge zum Bestandteil des Mobilitätsmix machen.
Gleichzeitig bleibt die Union Autofahrer:innenpartei. Sie will einen Umstieg auf emissionsfreie Mobilität. Dabei setzt sie auch auf synthetische Kraftstoffe. Sie hält am Bau von Umgehungsstraßen fest. „Und wo es häufig Stau gibt, werden wir unsere Bundesstraßen und Autobahnen erweitern“, kündigen die Parteien an. Außerdem will die Union nichts gegen billiges Fliegen tun: „Wir wollen, dass die Luftfahrt ein preislich wettbewerbsfähiger Verkehrsträger ist und der Luftverkehrsstandort Deutschland erhalten bleibt.“
Klappt das auch? Tempolimit, Straßenbau und Fliegen – bei diesen Themenfeldern gibt es zwischen Union und den Grünen erhebliches Konfliktpotenzial. Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat die Einführung von Tempo 130 auf Autobahnen zur Voraussetzung einer grünen Regierungsbeteiligung gemacht.
Während die Grünen sämtliche Projekte des Bundesverkehrswegeplans auf Klima- und Umweltverträglichkeit prüfen und gegebenenfalls stoppen wollen, setzen CDU und CSU ungebrochen auf weiteren Straßenbau. Die Vorstellungen der Union zum Fliegen beißen sich mit den grünen Forderungen nach einem Abbau von umweltschädlichen Subventionen im Luftverkehr und dem Ende von Finanzhilfen für unwirtschaftliche Regionalflughäfen. Anja Krüger
Steuern & Soziales
Das will die Union: „Keine neuen Belastungen für Unternehmen“, „stabile Lohnzusatzkosten“, so lauten die Leitsätze zur Sozialpolitik im Wahlprogramm 2021 der Union. Das Programm ist ein Entlastungsprogramm für die Wirtschaft und für Spitzenverdiener:innen: Der Solidaritätszuschlag soll für alle abgeschafft und Unternehmenssteuern auf 25 Prozent gedeckelt werden. Kleine und mittlere Einkommen sollen ebenfalls steuerlich entlastet werden, genaue Zahlen gibt es dazu aber nicht im Programm.
Die neuen Sozialleistungen bleiben überschaubar: Das Elterngeld wird um zwei Monate verlängert. Für eine neue Altersvorsorge von Geburt an, eine sogenannte „Generationenrente“ will die Union einen staatlichen monatlichen Zuschuss lediglich „prüfen“. Pflegegeld und Pflegeleistungen sollen entsprechend der Lohnentwicklung „dynamisiert“ werden.
Einiges wird liberalisiert: Die Verdienstgrenze für Minijobs soll von 450 auf 550 Euro angehoben, die tägliche Höchstarbeitszeitgrenze von 10 Stunden soll fallen und durch Begrenzungen der Wochenarbeitszeit ersetzt werden.
Die Hartz-IV-Sanktionen will die Union beibehalten. „Vertraute Wohnsituationen“ sollen geschützt werden, wenn jemand nach einer langen Arbeitsphase seinen Job verliert und Hartz IV beantragen muss. Dies könnte an die aktuelle Regelung anknüpfen, nach der die Angemessenheit der Wohnung beim Erstbezug von Hartz IV für die ersten sechs Monate nicht in Frage gestellt wird.
Die großen Verteilungsfragen etwa bei Rente, Pflege und Hartz IV bleiben damit ausgespart. Interessant ist, dass in den vorherigen Entwürfen zum Unions-Wahlprogramm, die in der vergangenen Woche bekannt wurden, erheblich konkretere, aber eben auch konfliktträchtigere Ankündigungen enthalten waren.
So wurde in einem früheren Entwurf die Verdienstgrenze für Minijobs sogar auf 600 Euro erhöht, gleichzeitig sollten die Minijobs aber rentenversicherungspflichtig werden, wenn sie nicht von Schüler:innen, Student:innen oder Rentner:innen ausgeübt werden. Damit hätten etwa durch Minijobs hinzuverdienende Ehefrauen höhere Abgaben gehabt, aber eben auch einen kleinen Rentenanspruch erworben.
Gestrichen wurde auch der Vorschlag, für das Ansparen einer „Generationenrente“ einen monatlichen staatlichen Zuschuss von 100 Euro ab Geburt für jeden jungen Menschen bis zum 18. Lebensjahr zu gewähren. Ebenfalls weggefallen ist der Passus, dass Geringverdiener:innen künftig verpflichtend eine staatlich bezuschusste zusätzliche betriebliche Altersvorsorge hätten abschließen müssen.
Der Wunsch der CSU, die „Mütterrente“ aufzustocken für Kinder, die vor dem Jahre 1992 geboren wurden, steht nicht im Wahlprogramm – es wäre ein teures Versprechen gewesen.
Das Wahlprogramm glänzt letztlich im Sozialen vor allem durch seine Leerstellen. Die Wirtschaftsförderung erinnert an die Wirtschaftsförderung in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit um die Nullerjahre. Genau dieses Problem der Massenarbeitslosigkeit gibt es im Moment aber nicht in Deutschland.
Klappt das auch? Bei der Forderung der Grünen, den Mindestlohn anzuheben und Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger:innen abzuschaffen, wird die Union wohl nicht mitmachen. Barbara Dribbusch
Wohnen
Das will die Union: Einen bundesweiten Mietendeckel wird es mit der Union nicht geben. „Wir setzen nicht auf rechtlich fragwürdige und ungeeignete Eingriffe, wie den Mietendeckel“, heißt es im Wahlprogramm. Überraschend ist das nicht: Schließlich haben Union und FDP den Berliner Mietendeckel auch vor das Bundesverfassungsgericht gebracht. Statt Mieten zu begrenzen, setzt die Union auf schnelleres Bauen, Nachverdichtung in Städten und ein stärker bebautes Umland. Nur wenn das Wohnungsangebot steige, könnten Mieten stabil bleiben. Bis 2025 sollen über 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen.
Steuerliche Investitionsanreize sollen bei der Umsetzung helfen: Wer neue Mietwohnungen schafft, soll auch nach Ende 2021 fünf Prozent der Anschaffungs- und Herstellungskosten zusätzlich von der Steuer absetzen können. Zudem soll Bauen schneller und unkomplizierter werden: Die Anzahl der Bauvorschriften soll signifikant verringert werden. Wenn ein vollständiger Bauantrag nach zwei Monaten nicht bearbeitet wurde, soll er als genehmigt gelten. Bauland soll flexibel ausgewiesen werden.
Die energetische Sanierung von Gebäuden bezeichnet die Union als „ein Muss“, um die Klimaziele zu erreichen. Mieter:innen sollen zeitgleich aber vor finanzieller Überbelastung geschützt werden. Dafür will die Union die Wohnungsbaugesellschaften „in die Pflicht“ nehmen. Zudem soll die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung, insbesondere von Betriebsgebäuden und von vermieteten Wohnungen, weiter verbessert werden.
Die Union will auch den sozialen Wohnungsbau fördern, Wohnraum müsse „auch für Menschen mit geringem Einkommen bezahlbar sein“. Mit den Ländern will die Union erörtern, ob sie auf jeden Bundes-Euro mindestens einen Euro drauflegen und zweckgebunden einsetzen. Das Wohngeld soll zudem ab 2022 regelmäßig angepasst werden – was „regelmäßig“ konkret bedeutet, steht aber nicht im Programm. Damit Menschen möglichst lange in ihrem angestammten Wohnumfeld bleiben können, soll der altersgerechte oder barrierefreie Umbau über Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) unterstützt werden.
Der Traum vom Eigenheim darf bei der Union nicht fehlen. Mithilfe der KfW sollen Familien mit Kindern durch Darlehen, Tilgungszuschüsse oder Zinsverbilligungen profitieren. Erstkäufer:innen sollen zudem bei der Grunderwerbsteuer entlastet werden, wenn der Wohnraum selbst genutzt wird. Den Ländern soll deshalb ermöglicht werden, einen Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer zu gewähren: 250.000 Euro pro Erwachsenen plus 100.000 Euro pro Kind. Mietkaufmodelle sollen es „vor allem jungen Menschen mit geringerer Kapitalausstattung ermöglichen, Wohneigentum zu erwerben.“ In diesem Zusammenhang will die Union die Unterstützung genossenschaftlicher Wohnmodelle „prüfen“.
Auch das Leben auf dem Land soll berücksichtigt werden. Strukturschwache Regionen und ländliche Räume sollen verlässlich gefördert und zu „Innovationsräumen“ werden. „Wir wollen, dass Startups leerstehende landwirtschaftliche Gebäude und ehemalige Stallungen nutzen können“ heißt es etwa im Wahlprogramm. Neben massivem Breitbandausbau auf dem Land sollen auch Co-Working-Spaces kreatives Arbeiten fördern. Innenstädte sowie Dorfkerne sollen durch Förderprogramme attraktiver werden.
Klappt das auch? Für die Union ist der bestehende Mieterschutz ausreichend. Sie setzt vor allem auf Bauen und Eigentumsbildung. Die Grünen wollen zwar auch den Erwerb von Wohneigentum erleichtern, aber insgesamt ist ihr Programm in puncto Wohnen sehr viel mieterfreundlicher und gemeinwohlorientierter. Das Recht auf Wohnen soll etwa ins Grundgesetz geschrieben und ein „Nationales Aktionsprogramm zur Vermeidung und Bewältigung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit“ aufgelegt werden.
Zudem wollen die Grünen eine „Neue Gemeinnützigkeit für sozialen Wohnraum“, Mietobergrenzen im Bundesgesetz ermöglichen, ein Immobilienregister der Eigentümer:innen soll Spekulation entgegenwirken und zu mehr Transparenz führen. Aber ob nach Verhandlungen mit der Union viel davon übrig bleibt? Eher nicht. Allein 2020 flossen durch Großspenden 1,25 Millionen Euro aus der Immobilienbranche zur CDU. Jasmin Kalarickal
Innere Sicherheit
Das will die Union: Einen starken Staat und „Null Toleranz“ für Gesetzesbrüche. Vereine und Symbole von Extremisten sollen verboten, Einreise- und Aufenthaltsverbote verhängt werden, ebenso Abschiebungen und „Grundrechtsverwirkungen“. Neuer Lieblingsgegner sind die „kriminellen Clans“. Arabische Familien und zuletzt auch der Grundrechtereport kritisieren hier schon heute eine Stigmatisierung. Obwohl die Union an anderer Stelle festhält, was man so früher nicht las: „Der Rechtsextremismus bleibt die größte Bedrohung für unsere offene Gesellschaft.“
Für die Bekämpfung soll Technik her. Bodycams für Polizist:innen, Vorratsdatenspeicherung im Kampf gegen Kindesmissbrauch, Gegenattacken bei Cyberangriffen („Hackbacks“) oder Quellen-Telekommunikationsüberwachung für Handys und Laptops und Onlinedurchsuchungen. Angekündigt ist auch „intelligente“ Videoüberwachung, inklusive automatisierter Gesichtserkennung – wozu Pilotprojekte bisher allerdings durchwachsene Resultate lieferten.
Die Sicherheitsbehörden sollen mit noch mehr Personal, Ausstattung und Befugnissen ausgerüstet werden. Für Angriffe auf Polizist:innen soll es Strafen bis zu 10 Jahren Haft geben. Und rechtsextreme Vorfälle bei den Sicherheitsbehörden? Dazu wird nur zur Bundeswehr vermerkt: „Für Extremisten ist in der Bundeswehr kein Platz.“
Klappt das auch? Mehr Personal für die Polizei und eine konsequente Überwachung von Gefährdern wollen auch Grüne oder SPD. Während die Grünen aber einen „Neustart“ für den Verfassungsschutz wollen, lehnt die Union hier „jede Form der Schwächung“ explizit ab. Bei der Technik wird es noch schwieriger.
Bei der Technik wird es noch schwieriger. Bei Staatstrojanern und dem Infiltrieren von technischen Geräten machen die Grünen nicht mit. Die Vorratsdatenspeicherung wird dort als anlasslose Massenüberwachung abgelehnt, automatisierte Gesichtserkennung als Abschaffung der Anonymität im öffentlichen Raum. Sollten diese Maßnahmen dennoch kommen, dürften sie von Gerichten geprüft werden – und womöglich wieder kassiert. Konrad Litschko
Migration
Das will die Union: CDU und CSU wollen die Migration in die EU und nach Deutschland künftig noch stärker regulieren. „Wir setzen unsere Anstrengungen fort, damit die Zahl der nach Deutschland und Europa flüchtenden Menschen nicht nur dauerhaft niedrig bliebt, sondern sich weiter reduziert“, heißt es im Wahlprogramm der Union. Dafür will sie bereits bestehende Instrumente der Migrations- und Asylpolitik fortführen beziehungsweise verschärfen.
So verspricht die Union, die Europäische Grenzschutzagentur Frontex zu „einer echten Grenzpolizei und Küstenwache mit hoheitlichen Befugnissen ausstatten“ und deren Personal „deutlich aufstocken“ zu wollen. Asylentscheidungen sollen künftig in „europäisch verwalteten Entscheidungszentren an den EU-Außengrenzen“ erfolgen. Gleichwohl spricht sich die Union für eine „grundlegende Reform“ des europäischen Asylsystems und eine „faire und solidarische Verteilung der Kosten und Lasten“ aus.
Die Union bekennt sich zum Grundrecht auf Asyl, will aber die Anreize für „illegale Migration“ senken. Dazu sollen unter anderem „Bleiberechtsmöglichkeiten“ von Geduldeten künftig von Integrationsnachweisen abhängig gemacht werden. Die Union verspricht auch, konsequenter abzuschieben.
So sollen neue „Gewahrsamseinrichtungen“ an Flughäfen Sammelabschiebungen erleichtern, Ausreisegewahrsam und Abschiebungshaft „prasxistauglicher“ werden. Wer im Asylprozess falsche Angaben zu seiner Identität macht, soll nach Wunsch der Union den Anspruch auf Duldung verlieren. Falschaussagen gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sollen künftig strafbar sein.
Zudem möchten CDU/CSU mit einem juristischen Kniff weitere sogenannte sichere Herkunftsstaaten „festlegen“, um Asylbewerber:innen „leichter und schneller“ in ihre Heimat zurückführen zu können. In der Vergangenheit scheiterte dies mehrfach am Widerstand von Grünen und Linken im Bundesrat. Die Union strebt deshalb das Konzept des „kleinen sicheren Herkunftsstaates“ an. Eine Einstufung dazu soll ohne Zustimmung des Bundesrats möglich sein.
Auch beim Thema Fachkräfte setzt die Union auf „gesteuerte und gezielte“ Zuwanderung. Als Beispiele für „erfolgreiche Einwanderungsgeschichten“ führt die Union die beiden Biontech-Gründer:innen Uğur Şahin und Özlem Türeci an. Gleichzeitig stellt sie klar, dass Zuwanderung nur dann „ein Gewinn und eine Chance für unser Land ist, wenn sie von gelungener Integration begleitet ist“.
Klappt das auch? Mit der SPD als Koalitionspartner hat die Union in der Vergangenheit ziemlich viele Asylrechtsverschärfungen durchbekommen. Ob das auch auch mit den Grünen geht, die bei der Flüchtlingspolitik auf humanitäre Werte pochen, ist fraglich. Differenzen gibt es zuhauf: Die Grünen wollen mehr legale Migration, sind gegen Abschiebungen nach Afghanistan und würden zivile Seenotretter:innen mit EU-Geldern fördern. Das alles ist mit CDU/CSU nicht zu machen.
Umgekehrt dürften die grünen Linien zum Beispiel den „sicheren“ Drittstaaten liegen. In vielen Punkten verfolgen Union und Grüne die gleichen Ziele: beide wollen Fluchtursachen bekämpfen, Ausreisepflichtige abschieben, Zuwander:innen integrieren. Ralf Pauli
Außenpolitik und Militär
Das will die Union: Die Bundeswehr soll öfter schießen: Deutschland solle international „mehr Verantwortung“ übernehmen, auch bei „robusten Einsätzen“. An welchen Konflikten sich das deutsche Militär konkret beteiligen sollten, listen CDU und CSU im Wahlprogramm nicht auf.
Aber: Mehr Geld brauche die Bundeswehr auf jeden Fall. Die Union hält am Zwei-Prozent-Ziel der Nato fest, was darauf hinausliefe, dass die deutschen Militärausgaben weiter steigen. Sie will Kampfdrohnen für die Bundeswehr besorgen und die „notwendigen Mittel“ für die „Fortsetzung der nuklearen Teilhabe innerhalb der Nato“ bereitstellen – sprich: neue Atombomber kaufen oder die altersschwachen Tornado-Jets noch länger in Betrieb halten.
Innerhalb der Bundesregierung will die Union einen „Nationalen Sicherheitsrat“ einrichten, der die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik koordiniert. Das wäre eine der wenigen Innovationen in diesem Bereich; ansonsten setzt die Union außenpolitisch vor allem auf „Weiter so“. Deutschland soll Russland „konstruktiv und entschlossen begegnen“ (die Pipeline Nordstream 2 wird im Programm nicht erwähnt) und China „auf Augenhöhe begegnen“ (kein Wort zu Menschenrechtsverletzungen in Hongkong oder Xinjiang).
Apropos Menschenrechte: Strengere Regeln für Rüstungsexporte erwähnen CDU und CSU nicht. Damit schließen sie Verschärfungen aber zumindest nicht explizit aus.
Deutlich ist die Union hingegen bei der EU-Politik: Der Coronatopf, aus dem die Mitgliedsländer kreditfinanzierte Wirtschaftshilfen erhalten, soll eine einmalige Sache bleiben: „Sie ist kein Einstieg in eine Schuldenunion und darf es nie werden.“ So schnell wie möglich sollen die EU-Staaten wieder zur Sparpolitik zurückkehren. Die „Fiskalregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts“ wolle man „zügig wieder in Kraft setzen“ und Verstöße „konsequent sanktionieren“. Europäische Sozialversicherungen lehnen CDU und CSU ab.
Klappt das auch? In der EU-Politik wollen die Grünen das Gegenteil: die Währungsunion „zu einer Sozialunion ausweiten“ und das „neu geschaffene Wiederaufbauinstrument verstetigen“. Hier könnten in schwarz-grünen Koalitionsgesprächen größere Hürden liegen. In den anderen Bereichen sind Kompromisse eher denkbar, zumal die Grünen vor allem in militärischen Fragen zuletzt von Maximalforderungen abgelassen haben.
Das Zwei-Prozent-Ziel könnte sich allerdings durch einfache Mathematik erledigen: Wenn die Union Steuern für Reiche senken will und keine neuen Schulden aufnehmen möchte, ist ein deutlicher Anstieg der Militärausgaben wohl kaum finanzierbar. Tobias Schulze
Digitalisierung
Das will die Union: Modern soll das Land werden, ganz vorne dabei sein in Sachen Künstlicher Intelligenz und digitaler Infrastruktur, mit einer Verwaltung, die online läuft, mit der die Bürger:innen nicht an Zettelwirtschaft und Endloswartezeiten bei den Behörden verzweifeln. Die Devise lautet: Digitale Transformationsoffensive in Wirtschaft und Gesellschaft.
Unternehmen und Behörden sollen besser ausgestattet werden. Aber die Union will auch Tech-Giganten in die Schranken weisen. Schließlich sollen digitale Plattformen ein Treiber für Wirtschaftswachstum sein. Wie diese Regeln aussehen werden, wird sich zeigen.
Die Pandemie hat schmerzhaft gezeigt, dass Deutschland in vielen Bereichen digitales Neuland ist. Den missglückten Start der Corona-Warn-App, den Stress beim digitalen Impfausweis oder dem elektronischen Personalausweis hätte man sich gerne erspart. Deshalb soll es ein eigenes Ministerium geben, wenn die Union wieder in der Regierung ist. Dessen Aufgabe: Digitalisierung und Technologie auf allen Ebenen voranzubringen.
Ehrliche Aussagen gibt es beim Datenschutz. Digitale Informationen der Bürger:innen jeglicher Art, also auch aus den Bereichen Gesundheit oder Versicherungen, sollen verstärkt genutzt werden können. Eine übertriebene Auslegung von Datenschutzanforderungen dürfe nicht dazu führen, Innovationen zu hemmen und Verfahren bürokratisch zu verlangsamen, heißt es im Wahlprogramm.
Klappt das auch? Hohe Anschlussfähigkeit mit der FDP und den Grünen. Bei letzteren wird es allerdings Gerangel um die Auslegung des Datenschutzes geben. Ohne mit der Wimper zu zucken, alle Informationen der Bürger:innen digital zu erfassen und zu sammeln, das wird nicht im Sinne der Grünen sein. Die Forderung Datenschutz und Datenschatz modern denken und die Auslegung „Datenschutz ist kein Super-Grundrecht“ wird also zu heftigen Debatten und Auseinandersetzungen führen. Tanja Tricarico
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste