Isolde Charim Knapp überm Boulevard
: Wenn der nationale Typus am Ende ist

Foto: privat

Donald Trump gegen Kamala Harris – die Konstellation im US-Wahlkampf bedeutet auf ersten Blick: weißer Mann gegen Frau „of colour“. Patrick Gaspard, ehemaliger Wahlkampfchef von Barack Obama, bezeichnete das im taz-Interview als Auseinandersetzung zwischen einer alten und einer neuen Art des Amerikanischseins. Wie muss man sich das vorstellen: Tritt hier eine Identitätspolitik gegen die andere an?

Ist es so, dass Trump die Erzählung vom weißen Stolz nicht nur anbietet, sondern auch verkörpert? Wobei man auf der „White Supremacy“ erst dann beharren muss, wenn diese weiße Vorherrschaft bröckelt.

Und soll Kamala Harris aufgrund ihrer Herkunft (Vater jamaikanisch, Mutter asiatisch) die Rechte der neuen Mischidentitäten nicht nur behaupten – sondern diese auch verkörpern? Trump sagt: „Ich weiß nicht, ob sie schwarz ist. Sie sagt, sie sei schwarz. Gestern war sie Inderin, und ich weiß nicht, was das ist.“ Seine Absicht ist klarerweise abwertend. Aber ist die identitätspolitische Vorstellung nicht genau diese: Kamala würde solche identitäre Uneindeutigkeit, eine heute verbreitete Realität, widerspiegeln?

Wenn das nur die Konfrontation zweier Identitäten, zweier Verkörperungen des Amerikanischen wäre, dann würde Kamala Harris nichts wirklich Neues bringen. Dann wäre sie in jener Identitätsfalle gefangen, in der sich Trump nur allzu wohl fühlt: festgenagelt auf eine bestimmte, partikulare Position.

Wenn das alte Amerikanischsein tatsächlich von einem neuen abgelöst werden soll, dann muss die Veränderung weiter reichen. Dann muss das, was den nationalen Typus ausmacht, grundlegend erneuert werden. Etwas, das nicht nur für die USA gilt.

Der nationale Typus ist die öffentliche Gestalt für Angehörige einer Nation. Der Typus ist also das Bild „des“ Amerikaners. So wie es den Typus „des“ Deutschen oder „des“ Österreichers gibt. Solch eine Typisierung hatte lange Zeit eine wichtige Funktion: eine verbindende ebenso wie eine ausschließende. Die imagined community, Benedict Andersons Konzept der Nation als eine imaginierte Gemeinschaft verband einander eigentlich fremde Menschen, die in einem Territorium lebten genau dadurch: Sie prägte eine Gestalt, ein Bild, in dem sich die Menschen wiedererkennen konnten. Ausschließend wirkte der Typus für jene, die von diesem vorgegebenen Bild abwichen.

Lange Zeit wurde darum gerungen, den nationalen Typus fest- oder umzuschreiben. Je nach politischem Interesse wurden unterschiedliche Charakteristika hervorgehoben: Konservative betonten den sittsamen Christenmenschen. Nazis das Blond-Blauäugige. Vorkämpferinnen von Frauenrechten versuchten, den Typus auf Frauen auszudehnen.

Aber die heutige Realität gemischter Identitäten bedeutet eine völlig neue Situation. Misch­identitäten schreiben den nationalen Typus nicht mehr um. Sie bedeuten vielmehr dessen Ende. Wie sieht ein typischer Amerikaner heute aus? Zu divers, zu verschieden ist das, was ein solcher heute sein kann. Das gilt auch für jeden anderen nationalen Typus. Das Amerikanische lässt sich nicht mehr in einem Typus, in einem Bild darstellen. Es lässt sich nicht mehr verkörpern. Es bedeutet vielmehr die Befreiung von vorgefertigten Vorstellungen, was ein Amerikaner ist. Es bedeutet, die nationale Identität politisch zu definieren – nicht qua Herkunft.

Genau darum könnte es in der Auseinandersetzung Trump/Harris gehen: Weiße Identitätspolitik gegen einen politischen Nationenbegriff. Eine Politik der Ähnlichen gegen eine Politik der Einheit der Unterschiede.

Am deutlichsten sichtbar wird dies an Tim Walz, Harris’„running mate“: Ein Jäger, der sich für die Rechte von Transmenschen einsetzt. Ein Gewerkschafter, der für das Recht auf Abtreibung kämpft. Ein Ex-Soldat, der linke Politik betreibt, stand kürzlich in der Zeit.

Keine Identitätsmischung – sondern eine politische. Walz „repräsentiert“ einen neuen amerikanischen Typ – nicht, indem er ihn verkörpert, sondern indem er den alten konterkariert.

Die Autorin ist Publizistin in Wien.