Wahlkampf der SPD: Steinbrück auf der Himmelsleiter
Die Umfragewerte sinken, der Kanzlerkandidat der SPD steigt. Auf einen bayerischen Berg, wo er mit der Basis spricht. Eine Reportage aus 1.373 Meter Höhe.
LUSEN taz | Ganz oben warten sie auf ihn. Als Peer Steinbrück das Gipfelkreuz erreicht, haben die Wahlkämpfer von der Jungen Union schon ihr riesiges rot-weißes Transparent entfaltet. „Der Gipfel ist erreicht! Ab jetzt geht’s für die SPD nur noch bergab“, steht da. Ignorieren geht nicht.
Peer Steinbrück hat gerade eine Stunde Bergwandern hinter sich. Fünfhundert Höhenmeter hat der 66-Jährige stramm erklommen, sein Gesicht ist gerötet, das Polohemd durchgeschwitzt, etwas Kaltes zu trinken wäre jetzt gut. Stattdessen also diese konservativen Youngster, die die schönen Gipfelbilder versauen wollen. Markus Rinderspacher, Bayerns SPD-Fraktionschef, springt dem Kanzlerkandidaten zur Seite. „Wer es bis hier oben geschafft hat, der wird Kanzler“, ruft er. Und Steinbrück frotzelt: „Ich glaube, Adenauer war hier nicht.“
Glänzende Stimmung also bei der „Bergauf-Tour“ der SPD. Die Wahlkampfwanderung kann auch nicht getrübt werden durch die kleinen Gratis-Sonnencreme-Tuben der jungen CSUler. Auf denen steht: „Damit ihr uns nicht ROT werdet!“ Rot im Gesicht sind hier oben auf 1.373 Metern so ziemlich alle. Es ist heiß, die Sonne brennt. Das letzte Wegstück auf der steinigen „Himmelsleiter“ hat Kraft gekostet. Jetzt drängen sich alle um Peer Steinbrück.
Plötzlicher Stillstand
Hundertfünfzig SPD-Anhänger, zahlreiche Medienarbeiter und eine deutsch-südafrikanische Schülergruppe sind mit ihm hinaufgestapft. Die ganze Zeit, den ganzen Weg über hat Peer Steinbrück Fragen beantwortet.
Machen iPads doof? Ein Forscher warnt und eine Familie mit drei Kindern und fünf iPads macht sich neuerdings Gedanken – die Ganze Geschichte „Wischiwischi“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 3./4. August 2013. Darin außerdem: Wie sich die NPD im äußersten Nordosten der Republik auf ein Verbot vorbereitet. Und: Die englische Schriftstellerin Jeannette Winterson über Liebe, Zusammenbrüche und die Gewalt der Sprache. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Wie ihm das Kraxeln bekomme? „Ich freue mich, dass ich ein bisschen Bewegung habe.“ Ob ihn die Umfragewerte der SPD besorgen? „Sie doch offenbar mehr als mich.“ Ob er hier ist, um der landtagswahlkämpfenden Bayern-SPD zu helfen? „Was dachten Sie denn – der CSU?“ Beste Sottisen-Stimmung.
Als Steinbrück mit den bayerischen Genossen vor dem Gipfelkreuz posiert, kommt es zur Drängelei. Kameraleute rempeln Fotografen beiseite, Mikrofonangeln werden nach vorn gestochen, Journalistenfragen gebellt. Es fehlt nicht viel, dass jemand stolpert und sich verletzt.
Dann wird es plötzlich ruhig. Eine junge Südafrikanerin hat angefangen zu singen, einfach so. Es ist ein ruhiges, getragenes Lied, drei Strophen, fremde Worte, Schnalzlaute zwischen den Takten. Alle hören zu.
Wenn dieser Wahlkampf vorbei ist, wenn die Stimmen ausgezählt sind und die Koalitionsoptionen durchdacht werden – dann könnte es gut sein, dass Peer Steinbrück an diesen Tag zurückdenkt. An diesen Moment auf einem Berg im Bayerischen Wald, als mitten im Chaos alles zum Stillstand kam. Bevor es unerbittlich weiterging.
Nach wie vor sieht es nicht gut aus für die SPD und ihren Spitzenkandidaten. Während die Kanzlerin im Urlaub ist, tourt Peer Steinbrück durch die Lande. Sehen, gesehen werden, reden, fragen, antworten, freundlich sein, kompetent wirken. Firmen besichtigen, Hafenrundfahrten machen, Hände schütteln, für Fotos posieren. Auf einen Berg klettern, der Lusen heißt. Lusen! Klingt wie das englische „to lose“. Verlieren? Du lieber Himmel! Doch der Kandidat macht „Bella figura“, und setzt auf den „Swing“ wie er selber sagt. Als stünde seinem Einzug ins Bundeskanzleramt kaum etwas entgegen.
Das Gegenteil ist der Fall. Die SPD kommt beim aktuellen Deutschland-Trend mit ihrem Wunsch-Koalitionspartner, den Grünen, auf 39 Prozent, während Schwarz-Gelb erstmals seit 2009 mit 47 Prozent wieder auf eine eigene Mehrheit hoffen kann. Noch dramatischer ist die Zustimmung der Bundesbürger für Merkel, sie liegt bei 60 Prozent. Und das, obwohl die Kanzlerin den NSA-Skandal einfach aussitzt und sich ihr Verteidigungsminister in der Euro-Hawk-Affäre nur noch matt windet.
Es ist Urlaubszeit, das Wetter ist bombig, wer will jetzt schon hören, was schiefläuft in diesem Land? Aber Steinbrück muss ja reden. Er schuftet. Tags zuvor war er bei der Bundeswehr in Bad Reichenhall, jetzt steht er hier auf dem Berg, nachher wird er sich zu den Passauer Hochwassergeschädigten fahren lassen, abends nach Bad Füssing. Aber jetzt erst mal noch fünfzig Meter rüber zur Schutzhütte: Schatten, Bank und ein Bier.
Zwei Weizen
An den Tischen warten die mitgewanderten bayerischen SPDler auf ihn. Steinbrück nippt an seinem Weizen, er schaut den Leuten am Tisch gerade in die Augen. „Wo bist du zu Hause?“ fragt er. Sie sind hier aus dem Landkreis Freyung-Grafenau.
Die Holzwirtschaft, Arbeit seit Generationen, wurde runtergefahren. Stattdessen wurden die Berge ringsum zum Nationalpark erklärt. Ein Wald zum Anschauen, nicht zum Davon-Leben. Die alte Glashütte im nahen Spiegelau wurde vor drei Jahren geschlossen, nach fünf Jahrhunderten. Da kann auch die SPD nichts machen. Trotzdem, sagen sie, „wir finden gut, dass du so gerade bist“.
Eine Woche vor der Bundestagswahl wird am 15. September hier in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Obwohl die SPD Christian Ude, ihren besten Mann, zum Spitzenkandidaten gemacht hat, kratzt sie in den Umfragen gerade mal an der 20-Prozent-Grenze. Horst Seehofer – Steinbrück nennt ihn „Drehhofer“ – liegt bei knapp bei 50 Prozent. Bei der Selbstbedienungsmentalität der CSU, ätzt Steinbrück, „würde man uns doch einzeln ans Kreuz nageln“. Er trinkt noch ein zweites Weizen, dann geht es wieder hinab ins Tal.
An einer Waldquelle, kurz vor dem Parkplatz, warten vier Kameramänner auf ihn. „Was wollt ihr jetzt von mir?“, fragt Steinbrück. Ob er sich hier mal hinsetzen könne, ein wenig Quellwasser schöpfen. Der Kandidat zögert. Dann setzt er sich auf den Holzzuber und lässt Wasser durch die Finger rinnen. Es würde kaum wundern, führte jemand von links ein zahmes Reh in die Szenerie. Es ist einer von hunderten obskuren Momenten in diesem Wahlkampf. Eine Zumutung für Steinbrück. Er nimmt sie an. Er steht auf, verabschiedet sich. Geht zum Wagen. Seine Personenschützer folgen ihm. Noch sieben Wochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?