Wahlkampf-Protest in Hamburg: Schrille Töne gegen rechts
„Kritisch begleiten“ will ein Bündnis den AfD-Wahlkampf in Hamburg. Darin sieht die Polizei mitunter eine unangemeldete Versammlung – und greift ein.
Es ist laut, aber es gibt Ohrstöpsel für alle. Das heißt, nein: Die Leute am AfD-Wahlkampfstand, der einige Meter entfernt an der Straßenecke steht, kriegen keine angeboten. Sechs Männer stehen um einen blauen Stehtisch, darauf liegen Werbekulis und Flugblätter mit Deutschlandflaggen. Darüber thront ein hellblauer Sonnenschirm mit AfD-Logos.
Anfang des Jahres hatte die Rechercheplattform „Correctiv“ rassistische Deportationspläne von Mitgliedern von AfD und der „Werteunion“, Identitären und anderen extrem rechten Akteuren bekannt gemacht. Es folgte die größte Protestwelle der Geschichte der Bundesrepublik: 3,6 Millionen Menschen demonstrierten laut dem Institut für Bewegungsforschung Anfang des Jahres gegen rechts.
Wahlen mit wenig Zuspruch
Und jetzt? Die großen Demonstrationen sind abgeebbt, dabei herrscht Wahlkampf: Gewählt wird einerseits auf Europaebene – wo die AfD nach SS-verharmlosenden Aussagen ihres Spitzenkandidaten aus der extrem rechten Fraktion „Identität und Demokratie“ ausgeschlossen wurde. Kommunalwahlen stehen zudem in acht Bundesländern an, was in Hamburg heißt: Gewählt wird auf Bezirksebene. Für die AfD geht es um Landgewinn bei Abstimmungen mit traditionell niedriger Beteiligung.
Aber auch ohne die ganz großen Demonstrationen begleitet vielerorts Protest den Wahlkampf der in Teilen gesichert rechtsextremen AfD: Für Hamburg hat das Bündnis „Klare Kante gegen Rechts“ eine „kritische Wahlkampfstandbegleitung“ angekündigt. „Jeder Stand, der bespielt ist, ist ein Erfolg“, sagt Bente*, Aktivistin bei der Organisation „Aufstehen gegen Rassismus“ (AGR), die den Protest in Rothenburgsort organisiert hat. Sie hat einen Müllbeutel zur – laut Aufschrift – „fachgerechten Entsorgung rechter Hetze“ dabei und bietet ihn allen Mensc
hen an, die ein paar Meter weiter ein AfD-Flugblatt erhalten haben. Die Idee sei, den Wahlkampf der AfD zu stören – durch Gespräche, Parolen und anderen kreativen Protest. Man wolle allen zeigen, dass die AfD keine normale Partei sei, so Bente. „Ein richtig gutes und wichtiges Konzept.“ Sie hätte vorher nicht geglaubt, an wie vielen Menschen die Positionen der AfD vorbeigingen – und die wolle sie nun mit Flugblättern und Gesprächen erreichen.
Auch drei Polizist*innen sind anwesend an diesem Samstagvormitag. Wie die Polizei reagiere, sei nicht vorhersehbar, erklärt Bente: Die Einsatzleiterin hier in Rothenburgsort wirkt gelassen und verweist gegenüber AfD – aber auch einer von den Blockflöten genervten Anwohnerin – auf die Versammlungsfreiheit.
Eingekesselt und fotografiert
Eine Woche früher, am 18. Mai sei das anders gewesen, berichtet Aktivist Simon*: Da habe die Polizei eine „kritische Standbegleitung“ im Stadtteil Barmbek von Beginn an abgeschirmt. Gegen Ende seien sogar zwei zusätzliche Mannschaftswagen mit behelmter Bereitschaftspolizei vorgefahren. Simon erzählt, er sei beim Versuch, die Situation zu verlassen von zwei Polizist*innen zu Boden geworfen worden. Der Protest sei eingekesselt worden, Personalien seien aufgenommen, Fotos gemacht und Platzverweise ausgesprochen worden. Der Vorwurf: Teilnahme an einer unangemeldeten Versammlung. „Es war sehr brutal, sehr unvermittelt“, sagt Simon.
In Rothenburgsort steht er nun mit etwas Abstand zu den Blockflöten und beobachtet, wie die AfD ihre Flugblätter anbietet. Einzelne werden mitgenommen, aber nur eine Handvoll Passant*innen bleibt auch stehen am Stand der Blaubraunen. Vehement weist eine Frau einen AfD-Flyer zurück – wenig später steht sie bei den Protestierenden, haut lautstark Messbecher und Kochlöffel gegeneinander. Die drei Polizist*innen stehen weiter am Rand und sehen zu.
Am 9. Juni werden in ganz Deutschland die Wahlen zum EU-Parlament abgehalten. Zur Teilnahme berechtigt sind dabei auch Staatsangehörige der übrigen Mitgliedstaaten („Unionsbürger“), die seit drei oder mehr Monaten in der Bundesrepublik eine Wohnung innehaben oder sich sonst gewöhnlich dort aufhalten, das 16. Lebensjahr vollendet haben, und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind (vgl. Paragraf 6a Europawahlgesetz).
In Mecklenburg-Vorpommern wird zudem die Zusammensetzung von Kreistagen, Stadt- und Gemeindevertretungen bestimmt.
In Hamburg werden am selben Tag die Bezirksversammlungen gewählt. Hier wie dort haben EU-Bürger:innen ab 16 Jahren, die seit drei Monaten im Land leben, regelhaft aktives Wahlrecht.
Die Hamburger Polizei hat gegenüber dem NDR erklärt, der Protest in Barmbek sei lautstark, aber friedlich gewesen. Die AfD spricht dagegen von „Blockaden“ und „Belagerung“. Ein Wahlkämpfer am Stand in Rothenburgsort gibt sich gelassen: Ja, die Proteste seien laut, nervig, aber nie gewalttätig. Man kenne sie ja auch schon.
Woher dann die Notwendigkeit, eine ganze Gruppe offenbar lautstarker, aber friedlicher Demonstrierender in Gewahrsam zu nehmen und dabei einige gewaltsam zu Boden zu werfen? „Mir ist das absolut unerklärlich“, sagt Simon. Jetzt beobachtet er, wie die AfD ihren Stand abbaut und in ein Auto lädt – begleitet von „Haut ab!“-Rufen und Blockflöten.
Warum die Polizei sich so unterschiedlich verhalte, verstehe er nicht, sagt Simon. Man sehe doch, dass den Rechten keine Gefahr drohe, erklärt er und weist auf das wegfahrende Auto hin, aus dem ein AfD-Politiker winkt. „Der Stand ist vorbei, die AfD fährt weg – es passiert nichts!“
*Namen geändert
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