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Wahlen in Rußland

■ betr.: „Jedem das Seine und für je den etwas“ etc., taz vom 14.12.93

[...] Donath schreibt (und Ihr habt dies auch noch in Fett eingerückt): „Die Wähler, zeigt die niedrige Wahlbeteiligung, haben den Urnengang nicht ernst genommen.“ Donath hat offensichtlich übersehen, daß Teilnahme bzw. Nichtteilnahme über Erfolg oder Mißerfolg der Jelzinschen Verfassung entscheiden würde. In einem Land, das, wie ja vor den Wahlen bereits unübersehbar, derartig polarisiert war, mußte daher die Entscheidung: Urnengang ja oder nein, eine politische sein. Mag in Deutschland oder anderswo (sicher auch in Rußland bei künftigen Wahlen) Politik- und Parteienverdrossenheit die wichtigste Ursache für die Nichtteilnahme an Wahlen sein; mag es auch in Rußlands Bevölkerung einen großen Anteil von Menschen geben, die von den Wahlen und ihrer Beteiligung daran nichts erwarteten, für einen erheblichen Teil wurde die Tatsache, daß die Wahlbeteiligung wahrscheinlich allein über Annahme bzw. Ablehnung der Verfassung entscheiden würde, wichtigstes Motiv für ihr Fernbleiben. Schreibt man schon über die Stimmungen unter den RussInnen, so ist allein das Kaffeekränzchen bei Donaths Russischlehrerin nicht repräsentativ.

Donath schreibt: „Die Aufsplitterung der Blöcke in eine Gesellschaft ohne soziale Mitte bringt sie jetzt in Turbulenzen.“ Donaths Feststellung über das Fehlen einer „sozialen Mitte“ (was immer das für ihn sein mag) soll Ursachen für die Zustimmung zu Schirinowski erhellen. Nehmen wir mal an, daß für Donath Kleinbürgertum oder Mittelstand diese „soziale Mitte“ bilden, so dürfte doch auch Donath in Erinnerung geblieben sein, daß in Deutschland gerade diese „soziale Mitte“ das Wählerpotential der NSDAP darstellte und selbst heute, wie soziologische Untersuchungen immer wieder belegen, insbesondere diese „soziale Mitte“ neofaschistische Aktivisten hervorbringt. Das Fehlen einer „sozialen Mitte“ in Rußland (sollte es denn tatsächlich so sein) zeigt höchstens, daß Rechtsradikalismus und Rassismus nicht unbedingt eines klassischen Mittelstandes bedürfen.

Besonders auffällig ist auch in diesem Beitrag wieder die geradezu aufdringliche Parteinahme Donaths für Jelzin. Denn einzig dieser wird durch Donath mit dem Weglassen schmähender Beiworte ausgezeichnet, die übrigen Parteiführer sind für ihn „eitle Gecken“ (Jawlinski/Schachrai) oder „Politclown“ und „Possenreißer“ (Schirinowski). Verbalinjurien sind ja schön und gut, allerdings kein Ersatz für Analyse. [...]

Vielleicht sollte der „Rußlandexperte“ Donath einmal darüber nachdenken, warum ausgerechnet Schirinowski die Jelzin-Verfassung nicht in Bausch und Bogen abgelehnt hat. Würde Schirinowski bei der anstehenden Präsidentenwahl eine Mehrheit auf sich vereinen, was bei der derzeitigen Konstellation nicht ausgeschlossen werden kann, so böte ihm die gerade angenommene Verfassung, die ja angeblich den Reform- und Demokratisierungsprozeß garantieren soll, ausreichend Legitimation, um die demokratischen Institutionen auszuschalten. [...] Dr. Robert Weiß, Berlin

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