Wahlen hier und in der Türkei: Die Zombie-Wähler
Hierzuland darf jeder wählen gehen, wenn er alt genug und kein Migrant ist. In der Türkei läuft das anders: Dort wählen auch tote Migranten mehrfach.
W ieder stehen in der Türkei am Sonntag Wahlen vor der Tür, wieder mache ich mir unsinnige Gedanken über Wahlen und Demokratie. Mich stört so einiges an der Demokratie. Aber ich verlange nicht wie die AfD, dass die Demokratie ganz abgeschafft wird. Denn leider weiß ich keine bessere Alternative, die Sinn macht.
An Demokratie stört mich auch nicht alles, sondern nur dieser Vorgang des Wählens. Gegen Wahlen als solche habe ich eigentlich auch nichts, sondern nur wie gewählt wird. Jeder Hans und Franz darf wählen gehen, wenn er nur alt genug ist. Damit aber nicht genug, alle haben auch noch die gleiche Zahl an Stimmen, nämlich eine einzige! Ob Professor oder Penner, ob Analytiker oder Analphabet, ob Schulleiter oder Schulschwänzer!
Selbst für ein Moped braucht man in Deutschland einen Führerschein, aber um wählen zu können, braucht es nur den Personalausweis.
Im Kommunismus und in arabischen Ländern hält man gleich das ganze Volk von der Wahlurne fern, das Ergebnis ist aber im Endeffekt auch nicht viel besser. Außer dass die jeweils Regierenden immer mit 110 Prozent in ihren Ämtern bestätigt werden.
Die Schweizer haben lange Zeit geglaubt, es dadurch besser zu machen, dass sie die Frauen davon fernhalten. Aber es darf bezweifelt werden, ob die Methode, die Wahlberechtigung von der Fähigkeit, rückwärts einzuparken, abhängig zu machen, nun wirklich Sinn macht.
Achtung, Ironie! (Anm. d. Red.)
Aber es gibt zum Glück ein alternatives Modell in der Türkei, das in jeder Hinsicht große Hoffnungen macht! Da darf man nämlich doppelt und dreifach wählen! Ja, sogar vierfach!
Zum Beispiel hat jemand bei der letzten Wahl in vier verschiedenen Städten der Türkei seine Wahlzettel abgegeben. Und zwar alle zur selben Zeit! Und dann stellte sich auch noch heraus, dass dieser übermotivierte Wähler sogar schon seit vielen Jahren tot war. Und zudem auch noch Migrant!
Das bisschen Migrant und Totsein war weder für ihn noch für das türkische Wahlgesetz ein ernsthaftes Hindernis. Im Gegenteil! Dieser gute Mann steht wie durch ein Wunder bei jeder Wahl regelmäßig immer wieder von den Toten auf, und gibt in vier verschiedenen Städten zur gleichen Zeit seine wertvollen Stimmen ab. Wenn das keine logistische Meisterleistung für einen Verblichenen ist, dann weiß ich es auch nicht!
Aber das ist nichts Neues. Es ist bekannt, dass es in der Türkei tausende Geisterwähler gibt. Menschen, die vor 100 Jahren gestorben sind, die aber bei jeder Wahl zuverlässig aus ihren Gräbern herauskrabbeln, um ihre Stimme abzugeben.
In Deutschland halten wir Millionen lebendiger Einwanderer seit Jahrzehnten systematisch von der Wahlurne fern, in der Türkei dürfen sogar tote Einwanderer so oft wählen, wie sie lustig sind! Das nenne ich mal echte Demokratie!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag