: Wagner mit Wurst Wurstrst
■ Justus Frantz' „Last Night of the Proms“ entfachte auf der Galopprennbahn Vahr nur zahme Wunderkerzen
Bremen liegt nicht in England, und die Galopprennbahn Vahr ist nicht Ascot. Diese Einsicht, die mehr über Mentalitäten sagt als über die geographische Lage der Hansestadt, drängte sich Freitag abend als Resümee auf.
Dabei hatte alles so spannend begonnen. Dunkle Gewitterwolken zogen in rasendem Tempo über das weite Grün, um das sonst edle Pferde ihre Runden ziehen. Die stimmungsvolle Abenddämmerung tauchte die mit Luftballons und Schleifen geschmückte Kulisse in zartes Rosa. Und die altmodische, holzgeschnitzte Tribüne aus der Jahrhundertwende erinnerte an längst vergangene Zeiten. Während vor dem Ausschank die Champagnerkorken knallen, nutzten nicht wenige Besucher die Chance zum Picknick. Denn bei Justus Frantz' „Last Night of the Proms“ ging es weniger um die Musik, als vielmehr um die Chance, zu Wagnerklängen in die mitgebrachte Bockwurst zu beißen.
Der Abend mit Liegedecke und Klappstühlchen, Kühltasche und Frikadellen wurde zum Familienausflug. Bei Sylvia Dillenbourg sogar mit einer Geburtstagstorte mit elf pinkfarbenen Kerzen. Die Schülerin saß gespannt neben all den Erwachsenen und mochte glauben, der grauhaarige Herr dort vorn auf der Bühne höbe nur ihr zu Ehren den Taktstock. Als Selbstversorger erwiesen sich die meisten der Besucher, die die „billigen“ Karten für die grüne Rasenfläche zu 38 Mark erworben hatten. In weiser Voraussicht, wie sich heraussstellen sollte, denn die Bedienung an den Getränkeständen des Monopolisten „Parkhotel“ erwies sich als kompletter Flop an der Service-Front. Abgesehen von den absurden Preisen von 13 Mark für o,1 Liter Champagner, unterbot der Service noch den vom Café Sand. „Das ist ja eine Katastrophe! Acht Leute, aber keiner kann zapfen, nur Schaum im Glas, und das bei 5 Mark 50 fürs Bier“, der ältere Herr auf Sylvia Dillenbourgers Decke wußte, was er am mitgebrachten Schnitzel (unser Foto) hatte.
Andere gaben sich britischer: Evelyne Frisinger tafelte mit ihren Freunden ganz stilecht, mit riesigem Hut und echt englischen Weiden Picknick-Korb mit Wedgewood-Porzellan: “„Sonst kommt das ja nicht zum Einsatz. Wir haben die Differenz zur teuren Karte in Champagner investiert.“ Das mag sich gelohnt haben, denn wer am Abend an der Kasse nach Sitzplätzen fragte, mußte 77 Mark bezahlen. Dennoch spielte Justus Frantz vor fast ausverkauften 5000 Plätzen.
Weder Wagners Vorspiel zum 3. Akt des „Lohengrin“ noch Frantz' verbindliche Worte vermochten zu erheitern. Zwar stellte er sein gesamtes Orchester namentlich vor, als sei er Frontman einer Popgruppe , doch der dahinter liegende Gedanke zündete nicht mehr. Mit jedem „Das ist Peter aus Ungarn und das Iwan aus Weißrußland“ wollte Frantz partout eine völkerverbindende Musikidee verstanden wissen. Doch ist klar: osteuropäische Musiker sitzen auch in einem Orchester wie der neugegründeten „Philharmonie der Nationen“, weil sie bei künstlerischem Höchstniveau zu Niedriggagen spielen. Da konnte auch Frantz' Statement „Wir haben gemeinsam mit Kroaten und Serben betroffen die Nachrichten aus Srebrenica gehört“ nicht mehr überzeugen.
Als nach der Pause die leichte Muse das Zepter ergreifen sollte, fehlte der zündende Funke. Ja, man hatte für Strauss' Kaiserwalzer eine Fläche zum Tanzen abgesteckt, doch daß der Aufforderung zum Tanz nur zwei, drei wackere Paare folgten, lag an Frantz selbst. „Das muß man dann schon schmissiger spielen.“ Dennoch, die Bremer taten ihr Bestes. Und besonders die Bremerinnen. Bei der Cancan-Nummer aus Bizets „Carmen Suite“ warfen zur Gaudi des Publikums zwei Schöne auf dem grünen Rasen die Beine in die Luft. Überhaupt wurde hie und da deutlich, daß man das britische Vorbild der „last Night of the Proms“ entweder aus eigener Anschauung kannte oder die Direkt- übertragung im September auf N3 verfolgt.
Bei Griegs „Peer Gynt Suite“ wurde im Rhythmus mitgeklatscht, und eine einzelne Tröte akzentuierte mutig die Höhepunkte bei diesem „The best of“- Konzert. Einige Eingeweihte wußten, wie sehr die Fastnachtstimmung bei „Last Night of the Proms“ das feine Ascot in eine Rocky Horror Picture-Show für Freunde der klassischen Musik verwandelt. Tausende verrückter Engländer beweisen es Jahr für Jahr, richtig durchgeknallt wird es erst mit viel Alkohol. Beim letzten Programm-Punkt, Elgars „Proms and Circumstances“, das in England der Nationalhymne schon fast den Rang der Publikumsbegeisterung abgelaufen hat, zeigten die Bremer, daß sie ihre Lektion gelernt hatten und sich ascot-mäßig zu verhalten wußten. Auf Kommando wurden alle verteilten Wunderkerzen entzündet, und funkensprühend, wie einen Tag später um die gleiche Zeit beim „Scorpions“-Konzert, ging auch dieser Abend zu Ende. Susanne Raubold
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen