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Wärmt kein Atem, kein Arm

■ Der gewisse Augenblick für Ellen Koopmanns neue Platte / „Ich berühre dich mit meinem Lied“

Sie sind Mitte dreißig und kriegen nicht genug und nie zuviel. Zu Ihrem Traum vom Paradies gehört ein Park und darin ein nur für Sie spielender Saxophonist, fern, traurig. Sie haben die dritte Liebe hinter sich und ihren Leib wärmt kein Atem, kein Arm.

Er, der weder Saxophon noch sonst was spielt, gibt Ihnen nichts mehr: allenfalls draußen sind die Flüsse / daußen ist das Meer / draußen sind die Küsse / Liebe, die sich lohnt. Alles in allem, machen wir uns nichts vor, ist es in hohem Maße wahrscheinlich, daß Sie sich angesprochen fühlen.

Außerdem ist es kurz nach Mitternacht.

Das ist er, der Ellen-Koopmann-Augenblick. Sie legen den filigranen Tonabnehmer-Arm sanft auf die Rillen der trunken sich drehenden Scheibe und möchten tanzen tanzen tanzen; und fürchte nicht, daß die Träne mir quillt ... Sehnsucht wird da und der Hunger gestillt.

Ellen Koopmann, Komponistin, Interpretin, Produzentin, die Stimme der Frauen- und Friedensarbeit (“Flieg, weiße Taube“; Frauenmusikgruppe „Li(e)dschatten), gelernte Organistin, studierte Lehrerin, inzwischen Bremerin, hat sich, als ihre Wahl auf die Texte der Ostberliner Lyrikerin Gisela Steineckert fiel, vergriffen. Wie die Erde sich dreht / wie der Grashalm sich wiegt / Liebe macht uns allzuweiche Hände / dazu hast du nicht den Kopf, das Herz, den Schuh / eh ich den Blättern gleich vergilbe / hol mich heraus. Abgelutschter Spätexpressionismus nach Schulmädchenart. Drang ohne Sturm, bar jeder Eleganz. Gnadenlos stilbrecherisch ohne Lust daran.

Sie haben, das liegt nahe, getrunken, nicht zu knapp. Die Botschaft der Worte reduziert sich auf Klangfarbe und Rhythmus. Der Saxophonist (Tony Roberts) spielt seine melancholischen Läufe nur für Sie; der Baß versetzt Ihren Unterleib in Aufregung (Günther Späth / Danny Thompson); einer schüttelt Glöckchen in Ihren Wein (Peter Franken).

Sie fühlen sich verstanden und verdoppelt und nicht mehr einsam aber allein; und ein Rot flammt und fällt vom Baum und draußen lern ich hassen, wenn auch niemals dich.

Auf hymnischen Wellenkämmen trägt Sie die Koopmann von dannen, lockt Sie gurrend zurück, läßt Sie in Liehiehiebe schmelzen.

Sie sind ohne Widerstand um diese Zeit. Sie lassen sich von ihrem Lied berühren. Bus

Ellen Koopmann: Ich berühre dich mit meinem Lied. Frauen Musik Vertrieb. Erhältlich bei Saturn, Ear, Humboldt-Buchhandlung.

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