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Archiv-Artikel

Wärmflaschen für den Strommarkt

Die Energiepreise sind derzeit auf Rekordhöhe. Schuld ist auch die Liberalisierung

Die Konzerne stehen im Verdacht, den Handel an der Strombörse zu manipulieren

BERLIN taz ■ Strom ist derzeit in Deutschland auf einem Rekordhoch. Einen derartigen Preisanstieg wie in den letzten drei Monaten hat es seit der Liberalisierung des Marktes nicht gegeben, erklärte jüngst der Bundesverband der Energieabnehmer (VEA), der die mittelständischen Unternehmen vertritt. Innerhalb eines Jahres haben die Stromkosten für die Unternehmen um 16,2 Prozent auf gut 9 Cent pro Kilowattstunde zugelegt. Der Strompreis für Haushaltskunden liegt derzeit bei über 16 Cent.

Dabei waren in den ersten Jahren nach der Marktöffnung die durchschnittlichen Strompreise gesunken. Zwischen 1996 und 2000 um vier Cent je Kilowattstunde für die Verbraucher und um mehr als die Hälfte für die Kunden aus der Industrie. Seit 2001 steigen die Preise allerdings wieder an. Doch damit nicht genug: Der Großhandelsstrompreis an der Leipziger Strombörse EEX liegt derzeit bei 43,48 Euro pro Megawattstunde Strom. Damit kletterte der Preis auf dem Terminmarkt allein in den vergangenen drei Monaten um 27 Prozent.

Die Gewinne fließen vor allem in die Kassen der Unternehmen. So meldete der schwedische Vattenfall-Konzern in dieser Woche einen neuen Rekordgewinn von 1,5 Millionen Euro. Gut 40 Prozent am Ergebnis liefert die deutsche Tochter, die von höheren Großhandelspreisen in Deutschland profitiert hat.

Beschwerden kommen in erster Linie von der Industrie. Sie sieht als Grund für die hohen Strompreise unter anderem das Oligopol der vier größten Energieunternehmen, neben Vattenfall EnBW, RWE und Eon. Sie halten einen Marktanteil von 75 bis 80 Prozent. Zudem verdächtigen die großen Industriekunden die vier Konzerne, den Handel an der Leipziger Strombörse zu manipulieren und die Strompreise künstlich in die Höhe zu trieben.

Ein absurder Vorwurf, wehrt sich Eberhard Meller: „Hunderte von Stromversorgern stehen untereinander im Wettbewerb.“ Meller ist Hauptgeschäftsführer beim Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW), der Lobby der Energiekonzerne. Dieser begründet die Strompreiserhöhungen mit den gestiegenen Rohstoffpreisen sowie mit hohen Steuern und Abgaben, für die die Bundesregierung verantwortlich sei.

Doch außerhalb des VDEW ist man sich weitgehend einig – selbst unter den Marktbefürwortern –, dass die vollzogene Liberalisierung der Strombranche gescheitert oder doch wenigstens nicht optimal gelaufen ist. „Liberalisierung ist grundsätzlich sinnvoll“, unterstreicht Mathias Wissner vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. „Aber das ist keine richtige Liberalisierung“, sagt er. Denn noch immer kontrollierten die vier Großen das Netz. Er erhofft sich vom novellierten Energiewirtschaftsgesetz eine Senkung der Netznutzungsentgelte und so einen gerechteren Strompreis.

Denn seit dem 1. Juli muss die Regulierungsbehörde in Bonn die Netznutzungsentgelte genehmigen. Und die machen etwa 30 Prozent des Strompreises aus. Viele Kritiker bezweifeln aber die Regulierungseffekte des neuen Gesetzes. „Mein Traum vom funktionierenden freien Markt wurde enttäuscht“, erklärte Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher. Der eigentliche Zweck der „Entflechtung des Energiemarktes“ (Unbundeling) sei verfehlt worden.

Durch das neue Energiewirtschaftsgesetz würden die Netzbetriebe zwar aus dem Mutterbetrieb ausgelagert, aber nicht vollständig abgekoppelt werden. Somit bleibe die Hoheit der großen Energieversorger über die Netznutzungsentgelte indirekt bestehen, kritisierte Peters.

Doch es gibt auch grundsätzliche Kritiker der Privatisierung, egal ob mit oder ohne Regulierungsbehörde. Einer davon ist der Autor des „Schwarzbuchs der Privatisierung“, Michel Reimon. Da Privatunternehmen Kostenvorteile erwirtschaften wollen, müssten sie zwangsweise sparen: an Personal und Investitionen. Regulierungsbehörden hält Reimon für überflüssig: „Das wäre so, als würden sie die Menschen ins Kühlhaus sperren und sie dann mit Wärmeflaschen versorgen.“ SUSANNE GÖTZE