WIR LASSEN LESEN: Mehr Hansel als Franzl
■ Heißt „Der Kaiser“ nun eigentlich Franz Beckenbauer oder neuerdings Hans Blickensdörfer?
Keiner könnte ein besseres Buch über den Fußball und über mich schreiben als Hans Blickensdörfer.“ Sagt Franz Beckenbauer. Frage: Warum macht er's dann nicht?
Keine Frage: der Stuttgarter Sportjournalist Hans Blickensdörfer hat mehr vom Fußball gesehen, als irgendein anderer Schreiberling dieser Republik, und das ist nicht nur quantitativ, sondern durchaus auch als Kompliment zu verstehen. Und gibt es ein ultimativeres Lesebüchel, als Hansens Frühwerk Ein Ball fliegt um die Welt? Und hat das kleine pezl nicht schon vor und seit 20 Jahren mit staunenden Augen und recht gierig alles verschlungen, was der große Hans aus der noch größeren Welt zu berichten wußte, die doch für die beiden Wesensverwandten stets und hauptsächlich und überzeugt ein einziger großer Fußball war?
Aber ehrlich, Freunde, was interessiert euch das kleine pezl? Einen alten Scheiß? Genau, unn' da simmer schon beim Punkt, beim springenden.
Abends im Hotel machte ich, nach dem Rezept der Großmutter, warme Seifenbäder. Doch am nächsten Tag war nicht nur der Daumen mächtig angeschwollen, sondern“ (S.265) ...blablabla. Der Daumen vom Franzl? Nee, nee, der vom Hansel tut weh, und es ist auch der Hansel, der auf dem Mailänder Domplatz einen Gianni trifft (171), und der Hansel, der '58 in Schweden zum ersten Mal auf Pelé stößt. Oh ja, mag man nun zu recht einwenden, der Hansel ist halt nicht nur viel in der Weltg'schicht herumgekommen, sondern war mit seinem untrüglichen Gespür für entscheidende Situationen auch immer dort, wo sich grad eine abspielte. Oder andersherum.
15.November 1980. Der HSV spielt beim VfB Stuttgart, und während der Halbzeit bereitet sich der aus dem amerikanischen Cosmos zurückgekehrte Franzl auf seinen ersten und überraschenden Einsatz in der Bundesliga vor. Und wer flüstert ihm, während er seine Kickschuhe schnürt, „du packst es“ (139) ins Ohr? Richtig, Hansel, der Omnipräsente. Und übrigens, Franzl „packte“ „es“ tatsächlich!
Es ist ja nun nicht so, daß uns diese Geschichte nicht interessieren würde, zumal wir sie zum ersten Mal hören, und wir schließlich selbst die Anekdote vom Holländer Kees, der Pelés Trikot stahl und bitter bereute, diverse Histörchen aus dem guten alten Rußland und die Sache mit Hinault und LeMond bei der Tour de France 1985 immer wieder höchst ergreifend oder amüsant finden, jenachdem.
Nur daß sich da ein Buch, dessen Titel und Beschreibung uns zumindest im entferntesten an die literarische Gattung der Biographie erinnert, am Ende doch wieder nur als eine offensichtlich reichlich willkürlich zusammengesuchte Ansammlung von Erlebnissen des Hansels entpuppt, deren Zusammenhang mit denen des Franzl entweder gar nicht besteht oder notdürftig konstruiert ist, das will uns nicht so recht behagen. Vielleicht hat's ja auch dran gelegen, daß die Leut' und die Verleger unbedingt was über'n Franzl wollten, obwohl Hansels Erlebnisse doch mindestens genauso aufregend waren.
Überhaupt, wir wollen nicht übertreiben, kommt der Franzl natürlich schon ab und zu vor in dem Buch über ihn. Und der Katsche Schwarzenbeck — schön, aus dem seinem Schreibwarenladen hörst' ja viel zu selten was — auch. Der Katsche nämlich, sagt der Hans, sagt über'n Franz: „Beim Franz ist Fußball etwas ganz anderes als bei uns. Da gibt's noch Überraschungen.“(191)
Beim Franz, beim Hans nicht mehr. das kleine pezl
Hans Blickensdörfer: Der Kaiser. Die Franz Beckenbauer Story. München, Südwest Verlag, 1991, 45 Märker.
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