: WEIBLICHE KUNSTFÜRSORGE
■ Collagen von Renate Herter im Club der Kulturschaffenden „JohannesR.Becher“
Edel schimmerten die goldgeprägten Buchrücken mit der gesammelten Weisheit von Meyers Lexikon, Großem Brockhaus, Propyläen Weltgeschichte und Grimms Wörterbuch im Rücken der NGBK - Frauen bei ihrem ersten Pressegespräch in der Bibliothek des Club der Kulturschaffenden „Johannes R.Becher“. Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, die von Künstlern, Galerien und Ausstellungsinstitutionen aus der DDR täglich Anfragen nach Zusammenarbeit erhält, ist in die Position geraten, durch ihre Kooperation den östlichen Institutionen kulturpolitische Persilscheine auszustellen. Sie glauben, im Club der Kulturschaffenden einen Partner für zukünftige Ausstellungen gefunden zu haben, mit dem sie ihrer Verantwortung, gesellschaftskritische Kunst zu vertreten und den Trends des Kunstmarkts entgegenzusteuern, gerecht werden können.
Die großen Schiebetüren der edlen Bibliothek und klassischen Klause des Lernens öffnen sich hin zum Galerieraum des Clubs. Da stapeln sich, in eine Ecke gezwängt, noch einmal Bücher bis unter die Decke, aufgeklappt und in schwarze Farbe getunkt. Aus ihnen ist nichts mehr zu lernen. Blauschwarz und metallisch glänzt der unlesbare Bücherturm Das Schweigen der Zeichen von Renate Herter. Wissen wird in ihm zu einer Stütze des Gebäudes und einem Instrument der Macht, das aber unzugänglich, unüberprüfbar, unkontrollierbar geworden ist. Lesen läßt sich nur die gezackte Umrißlinie dieses Monuments einer ausgrenzenden Wissenschaft, die der elektronischen Aufzeichnung eines Pulsschlags gleicht.
Nicht nur den Inhalt, sondern auch die Funktion von Zeichen und Bildern zu hinterfragen, ist die Thematik Renate Herters. Im Mittelpunkt ihrer Bildforschungen stehen die von der Kunstgeschichte tradierten Bilder der Frau. Malen bedeutet für Herter immer Übermalen, weitermalen schon bestehender Bilder, um etwas über ihre Konstruktion und Funktion zu erfahren. Es gibt für sie nicht den ersten Strich auf das unschuldige Papier, nicht die Geste der Schöpfung aus dem Nichts. Die Bilder sind schon da, bestimmen schon den Blick, die Normen, die Erwartungen des Sehenden - Herter versucht sich dagegen zu wehren und die Oberflächen aufzubrechen. In Haltungen, einer seriellen Arbeit aus 240 übermalten Kunstpostkarten klassischer Frauenbildnisse, hat sie Frauenkörper und -köpfe mit dicken schwarzen Pinselstrichen umrundet. Nah gesehen, betonen die Pinselspuren die Neigungen der Hälse, die angespannte Geradheit der Rücken, die Abwendung von der frontalen Konfrontation mit dem Betrachter. Von weitem betrachtet, werden die schwarzen Linien zu einem Gitter, hinter dem die Gemalten blicklos und mundtot weggeschlossen sind. So treiben die schwarzen Übermalungen zugleich die Zurichtung der Frau als schönes Objekt der Kunst und ihre Entmündigung als Subjekt der Geschichte an die Oberfläche der Bilder.
In ihren Collagen unterzieht Herter die Frauenkörper operativen Eingriffen, die die Verletzungen und Deformatation unter der schönen Bildhaut bloßlegen. Der Brustkorb einer Schönen zeigt sich als offenes Organ, zusammengehalten vom Druck zweier Finger. Körperenden liegen bloß, enthäutet; Frauenhände mutieren in die nackten und schutzlosen Körper federloser junger Vögel. Rote Haubenbänder markieren Schnittwunden. Käfer kriechen über rote Blütenblätter, die aus dem angeschnittenen Schädel wachsen. Die Hand einer Eva, die eigentlich den Apfel halten müßte, birgt als Indiz ihres sündigen Erkenntnisstrebens einen kleinen Männerkopf. Hände drücken Gesichter weg. Eine Gabel sticht ins Auge. Ein Auge wird zur Kamera. So werden die Protagonistinnen der Bilder ihrer Sinnesorgane beraubt und umfunktioniert.
Renate Herter steht mit ihren Collagen in der Tradition von Hannah Höch und Max Ernst. Doch in den Collagen von Max Ernst war nicht allein das Bild der Frau, sondern meist eine ganze dramatische Familienkonstellation, mindestens ein ödipales Dreieck, Anlaß der unterschobenen Mehrdeutigkeiten. Hannah Höch verwischte in ihren Collagen die Möglichkeiten eindeutiger Geschlechtszuschreibungen und inszenierte ständige Verschiebungsprozesse zwischen den identifikatorischen Indizien ihrer zusammengesetzten Figuren. Verglichen mit der dadaistischen Zersplitterung und dem schillernden Spiel mit Versatzstücken, ist die Arbeit Herters mehr von einer pädagogischen Perspektive gekennzeichnet. Ihre Collagen verstehen sich als Provokation gegen Geschichte und Kunstgeschichte. Gerade in diesem Moment der Aufbereitung von historischem Material und der Visualisierung feministischer Theorien sind sie auch leichter durchschaubar.
Gabriele Horn, Brigitte Sonnenschein, Beatrice Stammer und Christiane Zieseke, verantwortlich für die Ausstellungsorganisation der NGBK, begannen ihre Arbeit in der DDR bewußt mit einer Künstlerin. Sie befürchten, daß in den kommenden Selektionsprozessen, bedingt durch den Ansturm der vereinigten deutschen Künstler auf den Markt, die Frauen wieder die schlechtesten Karten erhalten. Obwohl es in der DDR viele Künstlerinnen gibt, fand dort kaum eine Diskussion über die männliche Prägung des Kunstbegriffs und die anhaltend männliche Besetzung des Kunstbetriebs statt. Die NGBKlerinnen bekennen sich zu ihrem pädagogischen Engagement der Kunstfürsorge; sie wollen der Kunstszene der DDR emanzipatorische Nachhilfe erteilen. Für die Collagen und Installationen von Renate Herter entschieden sie sich auch deshalb, weil sie anschauliches Material für eine gemeinsame Klärung der Begriffe von Bild und Funktion der Weiblichkeit in der Kunst und dem männlichen Blick bietet.
Katrin Bettina Müller
Renate Herter, eine Ausstellung der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst in Zusammenarbeit mit dem im Kulturbund e.V., Club der Kulturschaffenden „JohannesR.Becher“, Otto-Nuschke -Straße 2-3, 1080 Berlin, bis 8. Juni. Montag bis Freitag 10 bis 21 Uhr, Samstag 12 bis 19 Uhr.
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