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Voscherau lernt Eckwerte kennen

■ Angekettete Studenten eringen endlich Aufmerksamkeit des Bürgermeisters    Von Kaija Kutter

Ein Gerücht hält sich hartnäckig unter den seit Montag streikenden Studierenden. Kurz vor Weihnachten habe ein Asta-Vertreter den Ersten Bürgermeister zufällig auf dem Rathausmarkt getroffen und nach dem „Eckwerte-Papier“ der Bund-Länder-Kommission zur Vorbereitung des Bildungsgipfels gefragt. „Was, Eckwerte-Papier? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, soll Hamburgs Regierungschef geantwortet haben und eilig von dannen gehuscht sein.

Fünf Studenten der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) wollten es gestern genau wissen. Um 15 Uhr, eine Stunde vor Beginn der Bürgerschaftssitzung, ketteten sie sich im Foyer des Rathauses an und verlangten den Stadt-Chef zu sprechen. „Voscherau hat bisher alle Gespräche mit uns abgelehnt“, sagte ein Redner. „Bevor es eine Zusage gibt, daß Voscherau morgen in die Uni kommt, gehen wir hier nicht weg.“

Der Bürgermeister habe zwei Termine zur Auswahl: eine Podiumsdiskussion um 12, eine zweite um 15 Uhr. Zwar hatte Leonhard Hajen sein Erscheinen zugesagt. Doch von dem Wissenschaftssenator hatten die Studierenden schon oft gehört, daß dieser nichts von Studiengebühren und Zwangsexmatrikulation hält. Derweil hatte aber sein Vorgesetzter am 29. Oktober die „Mainzer Erklärung“ der Ministerpräsidenten unterzeichnet, in der von 9-Semester-Regelstudienzeit und „Sanktionen bei Nichteinhaltung“ die Rede ist.

„Es geht uns nicht um Randale, wir wollen, daß sich Voscherau von dem Papier distanziert“, erklärten die Besetzer der Rathaus-Treppe. Doch der Landeschef ließ sich zunächst nicht blicken, huschte durch eine Seitentür ins hohe Haus. Das war eh rundrum abgeriegelt, eine Demonstration von 400 Studenten, die zuvor auf dem Gänsemarkt „Eckbälle gegen Eckwerte“-Fußball gespielt hatten, wurde gar auf Bannmeilen-Distanz gehalten.

„Was wollen Sie denn, im Eckwerte-Papier stehen doch gute Sachen drin“, provozierte Senatssprecher Franz Klein die wenigen wartenden Studenten, die sich Eintrittskarten für die Bürgerschaft ergattert hatten. Bei Gesprächen wurde deutlich, daß nicht nur die Sanktionen, sondern auch die im „Eckwerte“-Papier erwähnte Teilung in Kurz- und wissenschaftliches Studium auf Ablehnung stoßen. „Wir an der HWP haben diese Teilung ja schon“, erklärte Jan vom dortigen Aktionsrat. Die HWP an sich sei „nicht schlecht“, der sechs und drei Semester unterteilte Studiengang aber „zu stressig und verschult“.

Um kurz nach 18 Uhr die große Überraschung: Voscherau kommt raus, erklärt den Angeketteten, daß er ein Eckwerte-Papier nicht unterschrieben habe und auch gar nicht kennt. Nach Überreichung einer Kopie verspricht er, sich einzuarbeiten und zu einem späteren Zeitpunkt darüber zu reden. Ungläubiges Staunen im Asta: Daß sich das Gerücht bewahrheiten würde, hatte keiner geglaubt.

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