piwik no script img

Vorzimmer zur Hölle

■ Beim "Voodoo Lounge"-Konzert der Rolling Stones im Olympiastadion gab es gleich drei VIP-Sammelstellen: eine für die Stars, eine für die Sponsoren und eine für den Pöbel

Ein Abenteuer der Wichtigkeiten: Sehr berühmte Leute, very important persons, bei den Rolling Stones? Man denkt an Sex 'n' Drugs 'n' Rock 'n' Roll, Alkohol in Stömen, Ausschweifungen hinter der Bühne, Exzesse unter den Groupies, kurz: ein Paradies. Die Realität der Mittfünfziger mit Rebellenimage ist ernüchternd: Die VIPs tummelten sich vor dem Konzert in abgesperrten Räumen und sahen ihre Idole nicht mal von weitem. Und die großen musikalischen Gleichmacher setzen noch eins drauf: Bei der VIP-Bewirtung herrscht das Kastensystem: Richtige VIPs sitzen im Stones-Familien-Zelt, Sponsoren-VIPs im VW- Zelt und alle anderen Willi Wichtigs in den Katakomben des bröckelnden Stadions.

Auf der untersten Ebene der Wichtigkeiten hatte die Plattenfirma einigen Auserwählten ein grünes Band der Sympathie zugesandt, das, unentfernbar um das Handgelenk geschweißt, als Sesam-öffne-dich für den VIP-Bereich gleich hinter der Führertribüne wirkte. Die Hoffnung, hier die Crème de la crème Berlins zu finden, erwies sich als Flop. Die stickigen und heißen kleinen, kahlen Räume waren wider Erwarten sakkofreie Zone. Kein Glamour, keine High-Society, keine Haute Couture. Kein bekanntes Gesicht, dafür jede Menge Mittvierziger mit Fönfrisuren und Sonnenbrillen. Neben ihnen solariumbraune Frauen, die sich zur Feier des Tages in ihre alten zu engen Jeans gepreßt hatten, mit denen sie in den 60ern in die Badewanne gingen.

Wenn hier nur VUPs (very unimportant people) Cola und Bier tranken, wo waren die Juhnkes und Diepgens? Wo die Filmstars und Modefritzen? Etwa in der legendären Voodoo Lounge? In Pressetexten hatte man Voodoo Lounge mit „Vorzimmer zur Hölle“ übersetzt. Kaum zu glauben, daß sich die Stones auf ihre alten Tage noch damit zufriedengeben, im Vorzimmer rumzuhängen.

Am Eingang zu den Privatgemächern hinter der riesigen Bühne mußte auch ein Willi Wichtig aus Berlin leider draußen bleiben, denn außer Familienangehörigen und Freunden der Stones hatte dort niemand etwas zu suchen. Wahrscheinlich wäre es dort ohnehin langweilig gewesen, denn statt Drugs standen dort neben den Fernsehern und Videospielen nur Mineralwasserflaschen rum.

Wo versteckte sich dann der prominente Mittelbau? Auf grüner Wiese, hinter Hecken und Zäunen standen weißschimmernde Zeltburgen. Hier hatte VW seine Gäste versammelt.

Abenteuer Konzert. Die Sonne war hinter den olympischen Feuerschalen untergegangen, als man aus den verschiedenen Wichtigkeitsbereichen auf die Loge ins dichtgedrängte Stadion schwärmte. Viertel vor neun spie eine riesige Alu-Kobra auf der Bühne Flammen, und die „beste Show der Welt“ begann. Vor Mick werden alle Menschen gleich, denn in jedem Winkel der Arena ging man jubelnd von den Sitzen. Spätestens als Mick akzentfreier als Kennedy das Auditorium fragte: „Hallo Berlin, wollt ihr mitsingen?“, war er ein Berliner. Nach zwei Stunden verabschiedeten sich die Helden mit einem pyromanischen Meisterwerk. Von Kanonenschlägen begleitete Feuerkaskaden stellten jeden Lichtdom in den Schatten, den die baufälligen Gemäuer jemals gesehen hatten. Adrian Prechtel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen