: Vorwürfe nur von Weißen
Geschichten aus den „Stolen Generations“ von zwangsassimilierten Aborigine-Kindern: „Lang Walk Home“ von Philip Noyce steht seltsam jenseits der üblichen Kritik an der Missrepräsentation von Nicht-Weißen in Film und Medien
von JULIA BERG
„Wo soll ich hingehen, wenn ich nicht weiß, wo ich herkomme?“ Diese Frage stellt eines der Opfer der australischen Rassenpolitik; ein Aborigine, der als Kind von seiner Familie getrennt wurde, um in Heimen nach weißen Maßstäben umerzogen zu werden. Tausende von Kindern ereilte in Australien dieses Schicksal, ganze Generationen wurden ihren Eltern weggenommen und zwangsassimiliert, um später als billige Hausangestellte für Anglo-Australier zu arbeiten. Jeder Kontakt zu ihren Familien, zu ihrer Kultur wurde ihnen untersagt, und viele von den Betroffenen leiden bis heute unter den psychologischen Folgen. Sie gelten als die Stolen Generations – die gestohlenen Generationen Australiens.
Lange wurde dieses Kapitel der australischen Geschichte vertuscht oder verschwiegen. Nun will ein Film dieses Thema einem internationalen Publikum nahe bringen. Long Walk Home erzählt die Geschichte dreier Mädchen, die Anfang der 30er Jahre ihren Müttern gewaltsam entrissen und in das 1500 Meilen entfernte Camp Moore River verschleppt werden. Die drei beschließen zu fliehen, und begeben sich auf einen langen Marsch durch die unwirtliche Landschaft des australischen Outback zurück nach Hause.
Die Geschichte basiert auf den Erlebnissen von Molly Craig, die gemeinsam mit ihrer kleineren Schwester Daisy und ihrer Cousine Gracie den Weg durch die Wüste wagte. Ihre Tochter, Doris Pilkington, schrieb die Erinnerungen ihrer Mutter auf, und der australische Regisseur Philip Noyce brachte sie nun mit Laiendarstellern auf die Leinwand.
Schon die Avantgarde-Künstlerin und Filmemacherin Tracey Moffat, selbst Aborigine, zeigte in ihrem Film Night Cries das spannungsgeladene Verhältnis zwischen einer weißen Mutter und der inzwischen erwachsen gewordenen Aborigine-Adoptiv-Tochter. Gegen Moffats Film wirkt Long Walk Home seicht und theatralisch. Die Geschichte der Flucht fesselt nicht, weil voraussehbar ist, das die jungen Heldinnen es schaffen werden; die Charaktere sind holzschnittartig und wenig einleuchtend.
Liegt diese fehlende Überzeugungskraft des Films daran, dass Noyce sich einer Thematik annimmt, die er nur als Außenstehender kennt? Die (Miss-)Repräsentation von Aborigines in Medien und Filmen ist immer wieder Gegenstand von Kritik gewesen, stellen Aborigine-Charaktere doch oft nicht viel mehr dar als ein verklärtes Traumbild, man denke nur an Crocodile Dundee. „Als ich mir dieses Thema vornahm,“ sagt Noyce, wusste ich, dass ich ins Kreuzfeuer der Kritik geraten würde. Weiße würden mir Fehlrepräsentation vorhalten, und Aborigines, dass ich ihre Geschichte stehle. Interessanterweise kam die Kritik nur von den Weißen.“ Das Aborigine-Publikum sei einfach dankbar gewesen, dass die Geschichte der Stolen Generations überhaupt erzählt wird. Und viele der Schauspieler haben die gewaltvollen Trennungen am eigenen Leib erlebt, was beim Dreh viel ausgemacht habe. Doch obwohl der Film aus Sicht der Aborigine-Kinder erzählt ist, bleibt ein distanzierter Eindruck. Teilweise ist das Gefühl der Fremde beabsichtigt: Die Bilder des Kameramanns Christopher Doyle (Chungking Express, In the Mood for Love), sollen die Einsamkeit und Fremde der Kinder in der „feindlichen“ Wüste wiederspiegeln. Andererseits betont Noyce die Universalität seiner Filmaussage: Fragen von Schwarz und Weiß würden verschwimmen, es gehe vielmehr um die grundsätzliche Liebe zwischen Eltern und Kindern.
Für den Regisseur war der Film eine Art Neuanfang: „Ich verließ Australien, weil ich dort keine Filme machen konnte. In Hollywood dagegen gaben sie mir einen Film nach dem anderen. Ich fühlte mich wie ein Kind in einem Süßigkeitengeschäft. Und irgendwann hatte ich Magenschmerzen; ich musste da raus. Denn in Wirklichkeit geht es nicht um Film, sondern um Marketing. Du machst einen guten Film, und sie machen daraus einen Erfolg. Du machst einen schlechten, und sie machen daraus einen Erfolg. Irgendwann hast du das Gefühl, nichts weiter als Würste am Fließband zu produzieren. Bei Long Walk Home gab es keine Erfolgsgarantie, aber es war eine Arbeit, die vielleicht etwas verändern würde.“
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