Vorwürfe gegen die „Letzte Generation“: Das Gefährlichste ist Nichtstun

Gefährdungen durch die „Letzte Generation“ sind eine große Ausnahme. Die weitaus größte Gefahr geht von der Ineffektivität der „Zukunftskoalition“ aus.

Eine Hand ist mit einer Handschelle an eine Eisenstange gekettet

Ein Aktivist der Gruppe „Die letzte Generation“ wurde von der Polizei an ein Absperrgitter gekettet Foto: Fritz Engel

Seit Tagen diskutiert Deutschland über das Gefahrenpotenzial von Klimaprotesten. Dass eine Gefahr für die Zivilgesellschaft von Klimaprotesten ausgeht, ist allerdings eine Ausnahme. Die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ planen „immer eine Rettungsgasse“. In dem Fall der jüngsten kontroversen Aktion in Berlin habe die Gruppe „die Polizei vor Betreten der Schilderbrücke informiert und um eine Umleitung von Einsatzfahrzeugen“ gebeten.

Sie sind sehr bestürzt über den Hirntod einer von einem Betonmischer überfahrenen Radfahrerin, die von einem im Stau stehenden Einsatzfahrzeug geborgen werden sollte. Es bedarf jetzt einer juristischen Prüfung. Fakt bleibt dennoch: Es ist oberstes Gebot der Klimabewegung, dass bei Protesten niemand zu Schaden kommen soll.

Überhaupt gibt es erst seit Kurzem ein aktiveres Bekenntnis zur Störung des Normalzustands. Denn es ist dieser Normalzustand und nicht die Proteste, von dem die tatsächliche Gefahr ausgeht. Der Weltklimarat bestätigt in seinem neusten Bericht, dass es mit der aktuellen Politik höchst unwahrscheinlich ist, das 1,5-Grad-Ziel einhalten. Bereits jetzt werden Tausende von Menschenleben weltweit in Fluten in den Tod gerissen, ob in Pakistan oder Deutschland.

Gleichzeitig werden neue fossile In­frastrukturen wie LNG-Terminals gebaut, und der Verkehrssektor ist weiterhin einer der größten Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland. Außerdem gab es allein im ersten Halbjahr 2022 1.238 Verkehrstote. Der Normalzustand, dem aufgrund der Klimakrise und des Autoverkehrs tagtäglich Menschen zum Opfer fallen, und nicht der Protest derer, die auf die gesellschaftliche Verdrängung hinweisen, ist eine Bedrohung. Anstatt diese anzugehen, fordert „Klimakanzler“ Scholz, die Proteste zu beenden.

Das würden die Ak­ti­vis­t:in­nen auch gerne, denn auch sie begeben sich in Gefahr: Menschen in Straßenblockaden werden von Autofahrenden regelmäßig von der Straße gezerrt, die Ak­ti­vis­t:in­nen von Ende Gelände berichten von Polizeigewalt durch den „Einsatz von Wasserwerfern, Schlagstöcken, Reizgas und Schmerzgriffen“. Protestierende Wis­sen­schaft­le­r:in­nen werden inhaftiert, etwa in München, andere bekommen Morddrohungen, wie jüngst der Aktivist Tadzio Müller.

Das macht niemandem Spaß. Aufhören werden die Ak­ti­vis­t:in­nen aber erst, wenn die „Zukunftskoalition“ tatsächlich effektive Maßnahmen angesichts der Klimakatastrophe ergreift. Für die Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation ist die Einführung eines Tempolimits von 100 km/h solch eine Maßnahme. Wenn Scholz also will, dass Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen ihren Protest beenden, braucht es eine wirkliche „Zeitenwende“ in der Klimapolitik.

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ehemalige Praktikantin im Inlandsressort - jetzt nur noch frei unterwegs. Humanökologin und Mitglied der Forschungsgruppe Zetkin Collective mit den Schwerpunkten politische Ökologie der extremen Rechten in Deutschland, Ordoliberalismus, fossiler Kapitalismus und Energiepolitik.

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