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Vorsorge einfach weggekürzt

■ Nach der Änderung des Pflichtleistungskatalogs der Krankenkassen dürfen nur noch die "medizinisch notwendigen Maßnahmen" der Versicherten finanziert werden

Rücken dürfen krumm gelegt werden, wie sie verwachsen sind. Lungen dürfen nach Rauchers Lust zugeteert werden. Daran ändert auch die im September vom Bundestag beschlossene Änderung des Pflichtleistungskatalogs der Krankenkassen nichts. Nur: Wer sich gesund strecken oder das Laster des Rauchens aufgeben will, ist ab kommendem Jahr wieder auf sich selbst gestellt.

Die Ausgaben der Krankenkassen sollen sich zukünftig auf die „medizinisch notwendigen Maßnahmen“ beschränken, heißt es in einer Mitteilung des Bundesgesundheitsministeriums. Zwar sollen Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen bei Schwangerschaft, Kindern und Krebs, zahnmedizinische Prophylaxe und Schutzimpfungen weiter von den Krankenkassen übernommen werden. Die von den Versicherungen in den letzten Jahren verstärkt angebotenen Kurse zur präventiven Gesundheitsförderung fallen aber weg. Die Ausgaben in diesem Bereich seien innerhalb von drei Jahren von 0,6 auf 1,3 Milliarden Mark gestiegen, kritisierte das Bundesgesundheitsministerium. Zahlreiche der aus solidarischen Pflichtbeiträgen finanzierten Aktivitäten der Krankenkassen hätten zudem mehr der Werbung als der Gesundheitsförderung gedient, so die Kritik. „Natürlich hat es Auswüchse gegeben“, gestehen die Krankenkassen unisono ein – natürlich nur bei der Konkurrenz. „Töpferkurse oder Zuschüsse zu Fitneßstudios hatten wir nicht im Programm“, entgegnet Viola Matzke, Sprecherin der Barmer Ersatzkasse.

Die AOK hat bereits bundesweit 50 umstrittene Angebote gestrichen bei einem Gesamtangebot von 57.000 Kursen. Allein 4.000 der AOK-Kurse richteten sich an Raucher. 40 Prozent der Teilnehmer seien auch nach einem Jahr nicht rückfällig geworden. Das komme einer Ersparnis von 16 Millionen Mark jährlich gleich, errechnete die AOK. Auch die Rückenschulen seien effizient. Jede fünfte Krankschreibung in Deutschland enthalte die Diagnose Erkrankung der Wirbelsäule. „Für eine verhinderte Bandscheibenoperation könnten wir Rückenschulkurse für hundert Teilnehmer anbieten“, ärgert sich AOK-Sprecherin Gabriele Raehse.

Auch die betriebliche Prävention steht auf der Kippe, obwohl das Wohlbefinden der Mitarbeiter gestärkt und der Krankenstand gesenkt werden konnte, wie die AOK ermittelte. Eine Maßnahme, die sich sowohl für die Kassen als auch für die Unternehmer gerechnet hat. Wie weit die Angebote der Kassen eingeschränkt werden müssen, ist noch unklar. „Wir stehen wie das Kaninchen vor der Schlange“, meint Barmer-Sprecherin Matzke. Bundesweit wird derzeit geprüft, welche Kurse noch finanziert werden können. Frühestens Ende Oktober werden konkrete Ergebnisse erwartet. Doch ein Sprecher der Techniker Krankenkasse (TK) ist sich sicher: „Auf Dauer wird es die präventiven Kurse nicht mehr geben.“

Freie Wahl nur bei der Angebotseinschränkung

Neue Bewegung könnte die von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) geplante 3. Stufe der Gesundheitsreform bringen. Nach vorliegenden Entwürfen sollen die Kassen wieder Maßnahmen zur Gesundheitsförderung anbieten können, allerdings im Rahmen eines Sonderbeitrags, der ausschließlich von den Versicherten aufzubringen sei. So will Seehofer die Gestaltungsmöglichkeiten der Selbstverwaltung für die Krankenkassen erweitern.

In der Realität haben die Kassen jedoch nur die freie Wahl bei der Einschränkung ihres Angebots. „Wenn die Beiträge wie geplant runtergesetzt werden, müssen wir im Gestaltungsbereich sparen“, bilanziert TK-Sprecher Johann.

Von der „Gesundheitskasse“, wie sich die AOK gern selber nennt, werden die Versicherungen wieder zur Krankenkasse zurückgestutzt. „Versicherungsleistungen gibt es erst, wenn der Kunde schon krank ist“, resümiert Raehse. Gereon Asmuth

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