: Vorsicht, Veggies!
Gans fällt flach, Karpfen wohl auch. Trotzdem weihnachtet es auch in vegetarischen Restaurants wie dem Hannoveraner „Hiller“. A la Carte zum Fest der Völlerei: die gängigsten Vorurteile gegenüber Veganern, Ovolactos und Rohköstlern
Von Kai Schöneberg
1. Tiere töten ist schlimm, aber das Tofu-Zeug ist einfach nicht lecker
Fleisch, das nicht gewürzt ist, schmeckt auch nach kalten Füßen. Genauso läuft das mit den Fleischanaloga, also Tofu, Seitan-Steaks oder Bratlingen: Die Würze macht den Braten fett beziehungsweise erst so richtig schmackhaft. In den Festtagen halten sich viele Vegetarier mit Kartoffelsalat und Sojawürstchen, Raclette, veganen Lebkuchen oder Christstollen über Wasser. Und das nicht zu schlecht. Vor allem in Städten ist die Versorgung mit Veggie-Food mittlerweile fast flächendeckend. Das Angebot reicht von veganem Champagner, Tofu mit Garnelen-Geschmack bis hin zu vegetarischen Frühlingsrollen. Und klar: Auch Mamas Lieblinge müssen nicht auf gesundes und ethisch einwandfreies Essen verzichten. Natürlich gibt es „Ami Cat“, veganes Trockenfutter für Katzen, oder „Vegusto Dog Maxi Wurst“, veganes Feuchtfutter in Wurstform. Vegetarier müssten es zudem wissen, schärft der Verzicht auf Fleisch und Fisch doch die Sinne, vor allem den Geschmack.
2. Das sind keine Genussmenschen, ja eigentlich sogar verkniffene Spießer
Raucher paffen vor der Tür im Regen. Das „Hiller“ in Hannover ist nicht nur Deutschlands erstes vegetarisches Restaurant (seit 1955), sondern zudem absolut qualmfrei. Das dürfte nicht jedermanns Sache sein. Wer den Jieper überwindet, der bekommt hier – und woanders – jedoch ein absolut erstklassiges Menü serviert: Währlandplatte mit Pell- oder Bratkartoffeln, Himalaja-Gemüsepfanne mit Zitronenreis und Tofubratling oder Austernpilz-Piccata mit Bandnudeln und Tomatensauce. Auch der Grünkohl (ohne Gänsefett) ist schlicht delikat. Nur: Curry Schranke, Haxe und Schnitzel gibt es hier halt nicht.
3. Die Körnerfresser sehen schon so krank aus
Kann kaum sein. Immer mehr Studien belegen, wie gesund fleischfreies Essen ist. Während viele durch Berichte über Tiertransporte, Hühner-KZs, Rinderwahnsinn oder Schildkrötensuppe zum Veggie werden, steuerte Thomas Schönberger wegen seiner Akne um. Das war vor 25 Jahren. Heute ist er Vorsitzender des deutschen Vegetarierbundes (Vebu), pickelfrei und fühlt sich „gewicht- und geistesmäßig knackiger“. Schönberger verweist auch auf die Zahlen: Während sich 1983 erst 0,6 Prozent der Deutschen dazu bekannten, fleischfrei zu essen, sind es heute zwischen sieben und acht Prozent, also absolut etwa sechs Millionen Deutsche. Können die irren? Vielleicht ist es ja auch nur das Gefühl, sich gesünder zu ernähren, das schon glücklich macht. Allerdings sollten besonders Veganer darauf achten, zusätzlich Vitamin-B12-Tropfen zu nehmen. Vor allem Frauen sollten öfters mal zu eisenhaltigem Gemüse wie Spinat oder Broccoli greifen.
4. Das ist ja schweineteuer
Die Öko-Supermärkte haben Konjunktur und selbst Aldi bietet mittlerweile einen Reis-Soja-Drink für nur 99 Cent an, der sogar biologisch sein soll. „90 Prozent meiner Lebensmittel kaufe ich bei Discountern“, sagt Vebu-Mitglied Norbert Moch, seit 27 Jahren Vegetarier und mittlerweile arbeitslos. Es muss also gehen, der Mann ist sogar Veganer. Moch bleibt sogar noch genug Geld, um nebenbei die größte private Bibliothek vegetarischer Kochbücher zusammengesammelt zu haben. 9.000 Exemplare aus aller Welt besitzt er, das Älteste stammt aus dem Jahr 1878.
5. Irgendwie haben die was Sektiererhaftes
„Guck mal, was Du isst“, heißt eine neue Kampagne des Vegetarierbundes, auf dem ein schönes Stück Fleisch mit zwei ausgelösten Tieraugen zu sehen ist. Schon eklig. Natürlich rufen solche Aktionen wie alles, was nach Sonderrolle und Extrawurst aussieht, erst mal Widerstand und Gerüchtebildung bei der Gegenseite hervor, hier bei den Fleischessern. Das Schreckgespenst des mit 2.000 Mitgliedern größten Vegetarier-Vereins, des Vebu, ist übrigens die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, die sich mit viel Geld um die Werbung für herkömmliche landwirtschaftliche Produkte kümmert. Denen wirft auch niemand die Clubbildung vor. Übrigens: Viele Veggies überkommt dennoch das Naserümpfen, wenn sie an CMA-Plakaten oder einer Frittenbude vorbeigehen müssen.
Und naja, auch Vegetarier neigen zur Cliquenbildung. Vorzeige-Vegetarier Paul McCartney behauptet, auf seinen Tourneen dürften nur Veggies als Roadies arbeiten. Es gibt in ganz Deutschland Stammtische, deren Besucher Rezepte austauschen und sich Tipps geben, wo der nächste Vegetarier-Arzt zu finden ist. Die Vebu-Zentrale in Hannover (direkt neben dem „Hiller“) bietet reichhaltiges Aufklärungsmaterial für Veggies und solche, die es noch nicht sind. Beispiele: „Vegi-Urlaubsland“, „Labels“, „Vegi-Shop“.
Und natürlich ist man sich intern auch nicht wirklich grün: „Käseesser sind Folterknechte“, lautet der Slogan einiger Veganer, die meinen, auch Vegetarier quälten letzten Endes die lieben Tiere: Für „Milch und Eier müssen sich Rinder und Hühner misshandeln und umbringen lassen, um ihre Drüsensekrete und Menstruationsprodukte zu konsumieren“, heißt es auf einer Homepage über „Bienenerbrochenes: Fakten über Honig, Wachs und andere Bienenprodukte“. Das ist vor allem gegen die Ovolacto-Veggies gemünzt, also diejenigen, die Eier- sowie Milchprodukte essen.