Sanssouci: Vorschlag
■ Von Country besessen: Mojo Nixon wütet im Huxley's
Als Jello Biafra, Politaktivist, Schauspieler, ehemaliger Dead Kennedy und also lebende Punkrock-Legende, letztes Jahr mal wieder aus der Reihe tanzen wollte, machte er eine Country- Platte. Seine Begründung: „Eine Studie der Universität von Auburn behauptet, daß entgegen allgemeiner Überzeugung nicht Texte von Rocksongs, sondern die von Country-Musik zu Selbstmord führen können.“ Als Mitstreiter, die Jugend Amerikas dem Abgrund ein Stück näher zu bringen, suchte er sich Mojo Nixon, einen „Rock'n'Roller der alten Sorte mit aktuellen Texten“.
Vorher hatte sich Nixon in den USA als Politbarde in Studentenkreisen einen Namen gemacht („Ich bin ein Rock'n'Roll-Terrorist!“), dann als Teilzeit-Moderator bei MTV begonnen, obwohl er sich immer möglichst laut über den Musiksender aufgeregt hatte. Die Zusammenarbeit mit MTV endete, als eines seiner Videos nicht gesendet werden sollte. Hierzulande war er in „Great Balls of Fire“, der Verfilmung der Lebensgeschichte von Jerry Lee Lewis, zu sehen und in „Super Mario Brothers“.
Nixon entreißt Country, Folk und Rock'n'Roll den Revivalisten und Weichspülern und gibt dem Ganzen eine gesellschaftliche Relevanz zurück. Nicht umsonst gehört Woody Guthries Protestsong-Klassiker „This Land Is Your Land“ zu seinem Repertoire – wenn auch in textlich aktualisierter Version. Der Country, den Nixon spielt, ist wild und archaisch, kreischend und besoffen, halt so, wie Country einmal war, bevor er in die Hände des Rock'n'Roll und später der Konservativen fiel. Er schafft es, den Smiths-Schrammelklassiker „Girlfriend in a Coma“ so zu covern, als wäre er von Buddy Holly geschrieben worden, und schwingt im nächsten Augenblick in einem klassischen Talking Blues langatmige Reden, in denen er mit Polit-System, Unterhaltungssucht und gesellschaftlichen Zuständen der USA abrechnet. Er muß, er kann nicht anders: „Wenn ich keine Musik machen könnte, würde ich aufs nächste Postamt rennen und jeden erschießen! Im Moment rede ich nur wie ein Maschinengewehr.“
Nun befindet sich Mojo Nixon auf Tour durch das altehrwürdige Europa, das wahrscheinlich einige Schwierigkeiten mit seinem Humor, seinen Inhalten und vor allem den musikalischen Anspielungen haben dürfte. Die Warnung gibt er selbst aus: „Denkt daran, daß ich auf meinen Platten eher zahm bin. Auf der Bühne bin ich ein vom Teufel besessener Tornado.“ Oder wie Jello Biafra zu sagen pflegt: „Cool“. Thomas Winkler
Heute, 21 Uhr, Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Neukölln
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