Sanssouci: Vorschlag
■ The Legendary Pink Dots im Loft
Denk' ich an Brüssel... fällt mit nicht viel ein. Naja, die Europäische Gemeinschaft natürlich. Und Play It Again Sam Records, das Label, dem die Welt den Großteil der letztgültigen Ausformung der Maschinenmusik verdankt – jedenfalls bevor Tekkno aus den Bunkern sproß. Das nannte man damals Electronic Body Music oder kurz und schlüssig EBM und ist inzwischen so tot, toter geht's nicht. Da Play It Again Sam aber über die Jahre die einzige nennenswerte Independent-Firma Belgiens war, fanden sich in ihrem Programm auch immer wieder Bands, die nicht ins Klischee von der computergesteuerten Hirndröhnung passen wollten.
Auch The Legendary Pink Dots spielen so etwas wie das Label-interne Männeken Pis. Nichts läge ihnen ferner, als die Menschheit mit wummerndem Geklopfe zu beglücken. Tatsächlich verzichtet das sich aus Engländern, Holländern und Belgiern rekrutierende Quintett vollständig auf das, was man heutzutage Beat nennt und die gemeine Tanzbodenfüllperson zur gleichmäßigen Bewegung braucht. Fast nie Rhythmusmaschinen, kein Schlagzeug, bestenfalls werden die Tasten des Samplers mal einige wenige Takte ungefähr so angeschlagen, daß man meinen könnte, einen Rhythmus zu erkennen. Statt dessen blubbert und bröselt es, ohne aber je nach New Age zu klingen.
New Age ist es allenfalls von der Struktur her: die Töne stehen sekundenlang im Raum, sehr isoliert, die Stimme schwebt scheinbar unverbunden über ihnen. Der Trick der Legendary Pink Dots ist es, dabei vor allem sehr harte und harsche Klänge zu samplen, aber weil diese mit wärmeren aus Blasinstrumenten und Geigen erweitert werden, entsteht nie der Eindruck von maschineller Musik. Eher der von Mini-Opern, von einer sehr bewußten, manchmal auch überzogenen Kunsthaftigkeit. Dazu paßt auch das neueste Werk der Legendary Pink Dots. Es heißt „Shadow Weaver“ und stellt nur den ersten Teil eines so bezeichneten „Zwei-CD-Opus“ dar, dessen zweiter „Malachai“ demnächst folgen wird. Unsere fünf Freunde passen also durchaus in die Zeit, die das Konzeptalbum neu erfunden hat.
Zuerst einmal aber ist diese Musik sehr depressiv. Soll nicht heißen, daß sie einen runterbringt, dazu ist sie zu unaufdringlich – wenn das Gefühl nicht paßt, läuft sie an einem ab wie Wasser. The Legendary Pink Dots könnten eher als Soundtrack zur schon vorhandenen niedergedrückten Stimmung verwendet werden, wobei hier Depression nicht mit Melancholie verwechselt werden darf. Das findet seine Fortsetzung in den wenig erheiternden Texten, die oft nur das eine Thema Tod kennen. Oder Schuld. Oder Einsamkeit. Oder Kommunikationsunfähigkeit. Dazu gibt es dann aber sehr schöne Zeilen: I'll arrive as your friend but I'll leave as the stranger.Thomas Winkler
Am 4.11. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
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