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Vorschlag

■ Nick Cave and the Bad Seeds in der Halle

Dann wird das letzte Gläschen geleert sein und das letzte Näschen geschnupft. Die letzte Note von „New Morning“ wird verklungen sein, aber noch nachschwingen durch den sich leerenden Raum und nur gestört werden vom Knirschen und Schaben der Plastikbierbecher, die von den blinzelnd den Ausgang Suchenden auf dem Betonboden herumgekickt werden. Zum letzten Mal wird Blixa Bargeld scheu und verständnislos ins Publikum geblickt haben, starr und steif auf der Bühne stehend und scheinbar mehr zufällig die Gitarre angeschlagen haben. Zum letzten Mal hat Nick Cave die verschwitzten Stirnhaare aus dem Gesicht gewischt und fast erzählend davon gesungen, welch tiefe Weisheiten er beim Studium der Bibel gefunden hat. Zum letzten Mal hat der Strudel gekreist wie um „Deanna“, als wollte das Rundherum nicht aufhören und die versammelten Hirne in seinen Schlund ziehen.

Dann wird das Familientreffen vorbei sein, und die zwar nicht schriftlich, aber doch sehr persönlich geladenen Gäste werden in ihr heimatliches Quartier ziehen, nach Kreuzberg und viele nach Schöneberg. Dort, in der Kneipe an der Ecke, werden sie noch einen tiefen Blick ins Glas suchen. Wenn der Abend endgültig die Lust verloren hat, so restlos zur Neige zu gehen wie früher, werden sie schon längst in ihrer Zwei-bis-Drei-Zimmer-Wohnung gelandet sein und festgestellt haben, daß vorletztes Jahr zur selben Zeit noch ein paar muffige Socken hinter der Eingangstür lagen, die aber jetzt verschwunden sind. Dann wird der schwarze Anzug, für den der Trödler in der Bergmannstraße damals einen völlig überzogenen Preis verlangt hatte, in den Schrank wandern, wohlig versteckt hinter dem dezent bunteren Zwirn, der ihm in letzter Zeit den Rang abgelaufen hat.

Weil der Speed aber immer noch im Kopf rumort, wird noch einmal das Geschenk des alten gemeinsamen Freundes Nick, die Live-Platte zum zehnjährigen Bandjubiläum der Bad Seeds, in den CD-Player geschoben. Und das zugehörige Booklet mit den Schwarzweißfotos aus der streng limitierten Box für nur die besten Freunde noch einmal liebevoll betrachtet.

Morgen schon wird es so scheinen, als hätte der Sommer nie stattgefunden und als sei die Welt ein ständiger Herbst, und auch Nick Cave wird wieder weit, weit weg sein. Denn „From Her to Eternity“ ist der Weg immer viel zulang. Aber die Tassen sind auch übermorgen wieder leer, und ein Bruder, der sie wieder füllt, wird sich finden. Und im Sessel der Gnade sitzt es sich auch dann immer noch recht plüschig... Thomas Winkler

Am 5.10. um 20 Uhr in der Halle, An der Industriebahn 12–16.

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